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Industriesalon Schöneweide Brigadebücher

Brigadebücher

Über die Sammlung

Für 2022 erhielt der Industriesalon eine weitere Förderung durch die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa im Rahmen des digiS-Programms zur Digitalisierung einer Sammlung von Brigadebüchern, die sich im Besitz des Industriesalons befinden.
Bislang sind online nur ganz wenige Proben von Brigadebüchern verfügbar und auch die wissenschaftliche Literatur darüber ist äußerst spärlich. Das ist bedauerlich, da sie ein wichtiges Zeugnis der Alltagswirklichkeit vieler Menschen in der DDR darstellen.
Die Brigade und das Kollektiv als Arbeitseinheit in den DDR-Betrieben waren Ausdruck des massiven Kollektivierungsbestrebens der Staatsführung und sollte seit dem „Bitterfelder Weg“ Ende der 1950er Jahre zur Keimzelle der sozialistischen Persönlichkeitsbildung in der DDR dienen, wo die Trennung von Arbeit und Freizeit zugunsten eines solidarischen Miteinanders in allen Lebensbereichen überwunden werden sollte. Das Ziel war eine Gemeinschaftserfahrung unter rein sozialistischen Werten, zu denen nicht zuletzt die permanente Produktionssteigerung und -verbesserung gehörte sowie die Verhinderung jeglicher Konkurrenz- und Individualbestrebungen, die der herrschenden Ideologie besonders in der Arbeitswelt als Bedrohung galten.
In den Brigaden sollten „sozialistische Persönlichkeiten“ herangebildet werden, die vor allem durch und für das Kollektiv leben und arbeiten sollten. Gleichzeitig war diese erzwungene soziale Nähe aber auch der Raum für Privates: Arbeitskollektive und Brigaden waren „Orte der Geborgenheit“, sie besaßen „eine identitätsstiftende Funktion“, es wurden dort „familientypische Strukturen und Verhaltensweisen auf die betriebliche Organisation übertragen“ (Angelika Wolters: Alltagskommunikation in der DDR – Eine pragmalinguistische Untersuchung der Textsorte Brigadetagebuch, Dissertation 2004, S. 41).
Trotz Überwachung und institutionalisierter Bespitzelung entwickelte sich hier oft auch echtes Zusammengehörigkeitsgefühl jenseits politischer Zwänge: mit den Brigademitgliedern und deren Familien traf man sich zu feuchtfröhlichen Feiern mit Tanz und Gesang, man unternahm Ausflüge und Reisen und half einander so gut es ging bei den Herausforderungen der Mangelwirtschaft. Bis heute denken viele ehemalige Brigademitglieder mit Wehmut an diesen sozialen Zusammenhalt zurück, das bestätigen uns auch die „Ehemaligen“ Angestellten des WF, die im Industriesalon verkehren. Das Brigadebuch (auch: Brigadetagebuch, Brigadechronik) war dabei das wichtigste Medium, in dem sowohl die offiziellen als auch gemeinsame Freizeitaktivitäten festgehalten wurden.
Wie uns die Zeitzeugen auch bestätigten, war der Anreiz, ein Brigadebuch ordentlich zu führen, dabei ein ziemlich profaner: zum Ende jeden Jahres mussten die Brigadebücher der BGL (Betriebsgewerkschaftsleitung) zur Prüfung vorgelegt werden, und von deren Wohlwollen hingen die Gewährung der Jahresendprämien ab! Auch konnte die BGL dafür sorgen, dass man im nächsten Jahr die heißersehnten Urlaubsunterkünfte bekam, denn auch deren Verteilung wurde vor allem durch die BGL organisiert, private Alternativen dagegen waren rar und teuer.
Die höchste Auszeichnung für ein Kollektiv war es übrigens, den Ehrentitel „Kollektiv der sozialistischen Arbeit“ zu erhalten - natürlich war dafür ein gut geführtes Brigadebuch entscheidend.

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