Physikalisches Staats-Laboratorium in Hamburg.
Direktor:
Prof. Dr. A. Voller.
Hamburg, den 23. Jan. 1896
Domstraße 6.
Sehr verehrter Herr College.
Ich wollte nicht unterlaßen, Ihnen einige Proben
der Resultate zu schicken, die wir hier mit den
von Ihnen entdeckten und schon so eingehend studirten
X-Strahlen erhalten haben. Wir haben mit dem
Photographiren (oder wohl zunächst lieber ganz
allgemein Aktinographiren) lebender und lebloser
Gegenstände gute Erfolge erzielt. Soweit die Schärfe
der erhaltenen Bilder dies gestattete, habe ich
davon Lichtdruck-Copien machen laßen, die ich
Ihnen sende. Leider fehlt die interessanteste
Aufnahme: ein lebender Fuß, dessen Knochen
vor Jahren durch einen Pferdetritt getroffen wurden
und dann eine Wucherung entwickelten. Das
erhaltene Negativ zeigt dieselbe so gut, daß
die Aerzte erklären, über diese Art der etwa
erforderlichen Operation völlig unterrichtet zu
sein, was vorher nicht der Fall war. Leider wurde
die Platte im Entwicklungsbade so verdorben,
daß
daß sie sich zum Copiren nicht mehr
eignete.
Bei den Arbeiten haben wir eine merkwürdige
Beobachtung gemacht. Gewöhnliche Hittorf'sche
oder Crookes'sche Röhren werden bekanntlich
beim Stromdurchgang heiß; es gibt bekanntlich
einige von Crookes angegebene Formen, in
welchen die Kathodenstrahlen entweder ein
in der Röhre befindliches Platinblech zur
Weißglut erhitzen oder die Glaswand stark
erwärmen. Wir fanden, daß alle diese
Röhren nichts von X-Strahlen erkennen ließen.
Nur eine einzige unserer Röhren führte uns
zum Ziele und nun bemerkte ich sehr bald, daß
diese eine Röhre stets völlig kalt blieb.
Wir haben die Versuche mit dieser Röhre
unter Anwendung von 6 Accumulatoren und
eines Inductors, der in Luft 10-12 cm Funken
gibt, während einer vollen Stunde durchgeführt
(z. B. während der Aufnahme des Fußskelettes);
unmittelbar nach Unterbrechung des Stromes
war die Röhre noch so kalt wie vor dem
Versuche. Wir haben stets dasselbe Resultat
erhalten. Es scheint dennoch, daß bei genügender
Luftleere alle der Röhre zugeführte elektrische
Energie statt in Wärme vollständig in
X-Strahlen-Energie umgewandelt wird. Was
wird aus letzteren im umgebenden Raum?
Es wäre mir sehr interessant, gelegentlich
von Ihnen zu erfahren, ob Sie Aehnliches
bemerkt haben und was Sie von der Sache
denken.
Im Uebrigen ist unsere gute Röhre gestern un-
dicht geworden; sie zeigte weißliches Licht,
während ursprünglich nichts in ihr zu sehen
war, als das lebhafte grüne Fluorescenz-
licht des Glases. Sie ist nun ganz unwirksam.
Offenbar ist ein sehr hoher Grad von Luftver-
dünnung für das Entstehen der Strahlen noth-
wendig. Wir sind energisch mit der Bestellung
neuer Röhren beschäftigt und kommen
hoffentlich bald zu Ziele.
Die auf Tafel 9 enthaltenen Aufnahmen von
M Baryum- und Calciumplatincyanür hatte
ich
ich zu dem Zwecke gemacht, um zu sehen, ob
die unter der Einwirkung der X-Strahlen stark
fluorescirenden Kristalle nicht etwa durch
dieses ihr Licht auf die photographische Platte
wirken; sie lagen unmittelbar auf letzterer.
Es zeigt sich, daß die Kristalle lediglich absorbiren,
wie schwere Metalle; von einer Eigenwirkung
auf die Platte ist nichts zu erkennen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr sehr ergebener
A. Voller
erledigt 30 Jan 96. [Hand W.C. Röntgen]