Aus der ‚Tracht‘ war im 18. Jahrhundert die ‚Mode‘ geworden, die schnell veränderliche, immer neue Gestalt der Bekleidung. Beide Begriffe, ‚Mode‘ und ‚Bekleidung‘ wurden gar zu Synonymen. Das populäre Medium des handtellergroßen Almanachs brachte, was die Leser und insbesondere die Leserinnen sehen wollten. Die neueste Mode an Damen- und Herrenkostümen, an Kopfputz und Frisuren war nicht wegzudenken aus der Bildausstattung der Kalender und auch monatlicher Kultur- und Zeitgeistzeitschriften.
Ein beträchtlicher Teil des Schaffens des Berliner Maler-Radierers Daniel Nikolaus Chodowiecki besteht aus Kalenderkupfern. Den Lauenburger Genealogischen Kalender hat er mit nur zwei Unterbrechungen von jeweils einem Jahr von 1778 bis 1796 illustriert; mit Modekupfern versah er die Jahrgänge 1779 bis 1783.
Die Aufgabenstellung war ihm bestens geläufig. Auch für seine moralisch-satirischen Schilderungen wie für seine Literaturillustrationen gab er Figuren im Kostüm seiner Gegenwart wieder. Unentwegt zeichnete er seine Umgebung und legte sich so einen Figurenfundus an, aus dem er für seine immense Bildproduktion nach Belieben schöpfen konnte. Mit Anna Louisa Karsch war er seit seinen Arbeiten für den Zürcher Pysiognomiker Johann Caspar Lavater Mitte der 1770er Jahre bekannt. Wer nicht nur auf die kostümlichen Details der Modekupfer achtet, sondern seinen Blick auch auf die Gesichter richtet, der erkennt das unverkennbare Profil der Anna Louisa Karsch, der es nicht an ihrer in einer Schankwirtschaft in der schlesischen Provinz stehenden Wiege gesungen wurde, dass sie dereinst den modebeflissenen deutschen Damen den letzten Schrei aus Berlin vorführen werde, zumal sie doch selbst zugeben musste, die Natur habe an ihr „den äußeren Putz vergessen“. Der Dichterin, die in ihrem Leben äußerste Dürftigkeit kennengelernt hatte, dürfte es Befriedigung verschafft haben, dass sie es zu bürgerlicher Respektabilität auch in ihrem Putz gebracht hat. Wohl möglich, dass auch in den übrigen Modellen der Berliner Kopfputze und Kostüme Damen aus dem Umgang des Künstlers zu entdecken wären.
Manche der Darstellungen haben eine leichte satirische Note, und sei es nur in der Namensgebung. Die Bezeichnung ihres Kostüms als „Poétique“ scheint dabei keinen Stil zu charakterisieren sondern als Referenz eben der Trägerin zu verstehen zu sein.