Das Bildmotiv der Venus vor dem Spiegel ist eine Erfindung des venezianischen Renaissance-Malers Tizian (um 1490–1576). Möglich wurde die Darstellung dieses Motivs erst durch die Erfindung des Spiegels mit flacher Oberfläche. Diese technische Neuerung – bis dahin hatten alle Spiegel konvexe Oberflächen – gelang venezianischen Spiegelmachern Anfang des 16. Jahrhunderts. Tizian selbst und seine Mitarbeiter malten ab 1555 über 30 Versionen der Venus vor dem Spiegel, die von Sammlern aus ganz Europa gekauft wurden. So verbreitete sich das Thema schnell und wurde von anderen Malern kopiert. Bei allen anderen bekannten Versionen des Motivs ist im Spiegel jedoch das Gesicht oder allenfalls der entblößte Oberkörper der Göttin zu sehen. Hier hingegen sieht man frontale Nacktheit und einen Amor, der in einer eindeutig erotischen Geste das Spiegelbild der Venus berührt. Eine vergleichbare, explizite Darstellung des Bildthemas ist nicht bekannt.