Die beiden Initialen (vgl. auch Min 4480) stammen aus einer zweibändigen Bibel, deren Bände heute in Halberstadt (Domschatz, Inv.-Nr. 472 und Stadtarchiv, M 2) aufbewahrt werden. Das in Deckfarben ausgeführte Titelbild im ersten Band zeigt Stifter und Angehörige des Augustiner-Chorherrenstifts in Hamersleben (Diözese Halberstadt) um den Klosterheiligen Pankratius versammelt. Historische und stilistische Anhaltspunkte erlauben eine Datierung des Codex, der im Konvent selbst geschrieben und ausgestattet wurde, in die erste Hälfte der 1170er-Jahre.
Die Hamerslebener Bibel gehört mit einem Format von 53,5 x 36 cm zu den sogenannten Riesenbibeln.
Die Fragmente des Berliner Kupferstichkabinetts umfassen etwas mehr als ein Viertel der zweispaltig mit je 42 bis 47 Zeilen beschriebenen Blätter. Sie repräsentieren beide Varianten der in der Bibel vertretenen Initialtypen und lassen ahnen, wie sorgfältig das »Lay-out« geplant wurde.
Zwischen den einzelnen biblischen Büchern stehen die in roten und schwarzen Ziermajuskeln ausgeführten Explicit- und Incipit-Vermerke, wobei
nur jede zweite der vorlinierten Zeilen beschrieben wurde. Für die teils gerahmten Federzeichnungsinitialen haben die Schreiber entsprechend der intendierten Buchstabenform quadratische, längsrechteckige oder auch leicht schräg zulaufende Felder ausgespart. In der Rankeninitiale ›F‹ zum 2. Buch Samuel (Liber Regum secundus) kann man einen Vogel und einen Tierkopf entdecken.
Die historisierte Initiale zum Buch der Weisheit zeigt König Salomo als Autor, sein Spruchband wiederholt die Aufforderung aus dem Eingangsvers: »Sentite de domino in bonitate (Denkt in Frömmigkeit an den Herrn)«.
Text: Beate Braun-Niehr, in: Schrift als Bild, hg. von Michael Roth, Petersberg, 2010, S. 28, Kat. 10 (mit weiterer Literatur)