"Es rauscht wie Freiheit./ Es riecht wie Welt. - / Natur gewordene Planken / Sind Segelschiffe. - / Ihr Anblick erhellt / Und weitet unsere Gedanken." (aus: "Segelschiffe", Joachim Ringelnatz, 1883-1934)
Ein dreimastiges Segelschiff mit zackigen Spitzen, durch breite Schattenlinien betont, spiegelt sich im ruhigen Binnenbereich eines Seegewässers. Die Segel werden auf der Oberfläche des Wassers kantig gebrochen. Die natürliche gelb-braune Färbung der Segel kontrastiert mit der grellen hellblauen Wasserfläche, den Licht-Reflexen des unruhigen Himmels. Den Blick auf die Horizontlinie dominiert ein statisch-unbelebt wirkendes dunkles Industriegebäude. In der Spiegelung wirkt der monolithsche Werkskörper fragil, diffus zerfließend im ruhigen Gewässer. Die gebogene Wolkenlinie am Himmel: ein dunkelblau schraffierter Farbzug, wie die Hauptlinien und -flächen des Gemäldes durch stark verdünnte Ölfarben schnell und sicher aufgetragen. Kaimauer und Wolkenlinie geben der Bild-Erzählung die äußere Begrenzung. Erich Heckel ist zusammen mit den Mitgliedern der Künstlergruppe "Brücke" ein Wegbereiter einer "expressiven" Sehweise, die einer neuen Suche nach der Unmittelbarkeit des Ausdrucks entspringt. Sie wird gefunden: in der Konzentration auf Farbfläche und Strich, konsequent bis zu einer fast aggressiven Steigerung der Möglichkeiten. Heckel wird 1883 im sächsischen Döbeln geboren. Bereits auf dem Realgymnasium in Chemnitz lernt er 1902 Karl Schmidt kennen, der sich später nach seinem Heimatort Schmidt-Rottluff nennen wird. Die beiden verbindet fortan eine lebenslange Freundschaft. Beide studieren seit 1904/1905 an der Technischen Hochschule Dresden Architektur, um sich bald darauf zusammen mit den Kommilitonen Fritz Bleyl und Ernst Ludwig Kirchner ausschließlich der freien Kunst zu widmen. Am 7. Juni 1905 kommt es zu dem heute legendären Zusammenschluß der Künstlergenossenschaft "Brücke" in Dresden, einer "Reaktion gegen die gesamte Lebensatmosphäre dieser Stadt, gegen das geruhige Leben und die von Traditionen jeder Art gesättigte Luft." (Paul Fechter) In Jena erfahren einzelne Künstler der "Brücke" bereits zeitig Anerkennung, es sind die Professoren Botho Graef und Hans Fehr, die sich konsequent für die von ihnen mitentdeckte Moderne einsetzen. Die "Brücke"-Künstler stellen ihre Werke seit 1906 im Kunstverein aus. 1913, im Jahr der Trennung der Künstlergruppe entdeckt Heckel die nahezu unberührte holsteinische Landschaft an der Flensburger Außenförde als Refugium für die nächsten Jahrzehnte. Im gleichen Jahr findet eine Personalausstellung in Jena statt, Heckel zeigt eine Auswahl von jüngst entstandenen Gemälden und Graphik. Das Gemälde "Gelbe Segel" erhält der Kunstverein Jena als Schenkung des Künstlers nach Beendigung der Schau. Es begründet zusammen mit anderen Künstler-Stiftungen die eigene Sammlung des Kunstvereins. Während der Aktion "Entartete Kunst" 1937 werden insgesamt 305 Werke aus der Sammlung entfernt. Damit ist der größte Teil des Bestandes verloren. Das Gemälde "Gelbe Segel" aber überdauert das Ereignis. Im Jahr 1949 wird es in die Bestände des Stadtmuseums überführt. Es kann heute als ursprünglicher Bestandteil einer wegweisenden Sammlung aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gezeigt werden. [Dirk Hoffmann]
Provenienz: Kunstverein Jena, Sammlung moderner Kunst, Nr. 366; Œuvre-Verzeichnis: Vogt G 13/55,