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Wozu hat Deutschland eigentlich Kolonien?

Kunstbibliothek Grafikdesign [14059282]
https://id.smb.museum/digital-asset/6115154 (Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin / Fotograf unbekannt (CC BY-NC-SA)
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Beschreibung

Aus der oberen linken Ecke des Buchtitels ragt eine geballte Faust ins Bild. Sie trägt einen Ring, von dem ein Lichtstrahl ausgeht, mit dem eine offenkundig bösartige Schlange gebannt wird. Sie windet sich weiter unten um eine Palme, das Maul bedrohlich weit aufgerissen. Den Hintergrund der Szene bildet die schwarz-weiß-rote deutsche Fahne. Das Buch „Wozu hat Deutschland eigentlich Kolonien? Wie es einem Deutschen in einer deutschen Kolonie erging“, erschienen 1911 im Deutschen Kolonial-Verlag G. Meinecke, wurde von Carl Eduard Michaelis (Lebensdaten unbekannt) verfasst. Das „Deutsche“ ist somit fünffach im Titel zementiert: viermal in Worten und einmal in Farben. Das zugehörige Werbeplakat setzt das Buch effektvoll auf grünen Grund, umrahmt von großen Lettern, die kommentieren: „Unglaublich – aber wahr! Haben Sie es gelesen?“ Der Gestalter Fidus (Hugo Höppener) war ein Anhänger der Lichtlehre und der Reformbewegung um 1900, die sich von bürgerlichen Zwängen befreien wollte und, wie August Engelhard (1875–1919), von einem weitgehend unbekleideten Leben in der Südsee träumte. Fidus’ Illustration nimmt Gedanken aus der beworbenen Publikation auf, ohne jedoch dort erwähnten Personen im Bild darzustellen. Das Buch ist in eigentümlicher Sprache verfasst, die zwischen Alltagsjargon und dichterischem Duktus changiert. Der Titel klingt wie eine Anspielung auf die programmatische Schrift der deutschen Kolonialbewegung „Bedarf Deutschland der Colonien? Eine politisch-ökonomische Betrachtung“ von Friedrich Fabri (1824–1891) aus dem Jahr 1879. Darin erläutert Fabri, noch bevor das Deutsche Reich sich Mitte der 1880er-Jahre Territorien in Afrika und Asien als „Schutzgebiete“ oder Kolonien aneignete, dass das deutsche Volk als Träger einer Kulturmission und aufgrund von wirtschaftlichen wie politischen Erwägungen dringend eine Kolonialmacht werden sollte. Während jedoch Fabri salbungsvoll über die hohe Kultur der Deutschen und zugleich über die Gefahren der Sozialdemokratie dozierte, prangerte Michaelis voller Hass und Empörung das Leben in Samoa an. Dorthin war er Anfang 1910 gereist, um sich „biosophisch-rassenhygienischen Studien zu widmen und gleichzeitig die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieser Kolonie hinsichtlich ihrer Eignung für eine genossenschaftliche Ansiedelung deutscher Lebensreformer zu erkunden“ (S. 8). Doch er witterte „Rasseverderbnis“ unter seinen Landsleuten und forderte, auf der Stelle gute deutsche Frauen als Mütter und für die Arbeit im Haus herbeizuschaffen und so die weiße „Rasse“ zu erhalten: Weil „ihr wirtschaftlicher Wert als Mutter weißer Kinder für den jungen Pflanzer sowohl wie für die Kolonie gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann“ (S. 15). Die Vermischung des deutschen Volkes mit Juden und Jüdinnen aber setzte er einer „alteingessenen Krankheit“ gleich (S. 74). Nach einigen Spekulationen über die Tropentauglichkeit weißer Menschen überlegte er im zweiten Teil – von dem sich der Herausgeber im Übrigen explizit distanzierte – ob er in den USA leben solle und „nicht doch lieber einem Lande und Volke angehören möchte, das zwar englisch spricht, aber bei dem unsere Rasse-Ideale höher im Ansehen und besser in Schutz stehen. – In erster Linie bin ich doch ein Weißer, erst in zweiter ein Deutscher“ (S. 40). Er empfahl jungen Deutschen, sich einige Jahre in den Kolonien umzutun, die Menschen dort freilich „mögen uns nützliche subalterne Hilfskräfte oder auch interessante Landschaftsstaffage sein, aber sie sind nur zu dulden, sowie sie unserem eigenen Volke nicht im Wege sind.“ (S. 44).Die Gesellschaft im Deutschen Reich um 1900 war voller Widersprüche, die Bürgerschaft, Kunstschaffende, das konservative Lager, Sozialdemokrat*innen, Kirchenleute und Reformbegeisterte aller Couleur suchten nach einem Platz in der sich rasch verändernden Welt. Als gemeinsamen Nenner fanden viele die immer wieder behauptete Superiorität ihres Volkes. Menschenverachtung, Hass und wütende Versuche, die eigene Identität zu sichern, griffen - wie in Michaelis' Zeilen - in Deutschland um sich. Politisch spätestens seit 1884 als Kolonialismus und Imperialismus kanalisiert, führten sie zu unfassbarer Gewalt. Diese richtete sich gegen Kolonisierte und ihre Nachkommen, gegen Frauen, Jüdinnen und Juden und alle Menschen, die sich dem deutschen Überlegenheitswahn in den Weg stellten. Auf dem Plakat stellt Fidus das von Michaelis als „Rasseverderbnis“ bezeichnete Übel als eine Schlange im Tropenparadies dar, die sich nur mit gleißendem Licht bezwingen lässt. Analog ist zu folgern: Den Kolonisierten musste man mit einer höheren, das Gute repräsentierenden Gewalt begegnen. Reformbewegte Künstler wie Fidus unterstützten offenkundig den Irrsinn solcher Ideen und werteten diese durch ihre künstlerische Arbeit bereitwillig auf.Recherche und Text: Kristina LowisZitierte Literatur:Carl Eduard Michaelis: Wozu hat Deutschland eigentlich Kolonien? Wie es einem Deutschen in einer deutschen Kolonie erging, Berlin 1911

Beschriftung/Aufschrift

Unglaublich- / aber wahr! / Wozu / hat Deutschland / eigentlich / Kolonien? / Wie es einem Deutschen / in einer deutschen / Kolonie erging. / Deutscher Kolonialverlag, G. Meinecke Preis 1 Mk / Haben Sie es gelesen?Lith. u. Druck v. Nauck & Hartmann Berlin C Kurstr 49gedruckt

Material/Technik

Papier

Maße

Höhe x Breite: 71,4 x 46,8 cm, Höhe x Breite: 71.4 x 46.8 cm

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