Der Wärmeapfel und sein Futteral sind einzigartig in seiner Art: „Wärmeäpfel aus dem Mittelalter sind heute selten geworden; nur elf sind auf uns gekommen; und jener im Domschatz ist der Einzige, dessen ursprüngliches Lederetui bewahrt blieb“ (Antoine, Elisabeth, in: Meller / Mundt / Schmuhl 2008, S. 138).
Die vergoldete Kupferkugel besteht aus zwei hohlen Hälften. Die richtige Positionierung der beiden Halbkugeln aufeinander wird durch Markierungen an ihren Rändern angezeigt und ursprünglich mittels Bajonettverschlusses miteinander verschraubt (Richter 2009, S. 130-131).
In die Mitte des Wärmeapfels konnte eine glühende Kohle, eine heißer Stein oder eine glühende Metallkugel gelegt werden, die von beweglichen Kreisformen in einem freischwingenden Schälchen gehalten wurde (Antoine, in: Meller / Mundt / Schmuhl 2008, S. 138). Dieses Innenleben ist leider nicht mehr erhalten, Lötstellen der Halterungen sind erkennbar und die Technologie bekannt. Sie kann deshalb problemlos rekonstruiert werden: Im Inneren waren zwei Achsen für eine Kardanaufhängung angebracht. Dieses kardanische Gelenk dreht sich mit, und der wärmende Inhalt befindet sich so immer in Waage. Der Besitzer des Wärmeapfels kam also nie direkt mit dem erhitzen Gegenstand in Berührung, sondern nur mit der ausstrahlenden Wärme.
Beide Halbkugeln sind getrieben und besitzen einen ziselierten und gravierten Dekor. Vertikal laufende Bänder gliedern sie in vier dreieckige Felder, die jeweils auf reichem Blattwerkgrund ein Medaillon mit einem Evangelisten im oberen Teil und seinem Symbol im unteren Teil aufweisen. So stehen sich die Evangelisten und ihre Symbole vertikal gegenüber: Markus und der Löwe, Matthäus und der Engel, Lukas und der Stier und Johannes und der Adler. Die vier Evangelisten in der oberen Halbkugel ähneln sich in ihrem Erscheinungsbild stark. Alle vier sitzen ohne weitere Attribute an einem Schreibpult, haben lockiges Haar und ein Schreibgerät in der Hand. Nur der Hintergrund, die Art der Pflanzen variiert. Insgesamt kann man vier verschiedene Blatttypen unterscheiden: Eiche, Efeu, Ahorn und Wein. Inwiefern diese zur eindeutigen Zuordnung der Evangelisten und ihren Tiersymbolen beitragen, ist noch nicht geklärt.
Die Evangelistendarstellungen entsprachen damit dem Kontext der Messe (Kluttig-Altmann 2016, S. 107). Priester verwendeten den Wärmeapfel im eiskalten, winterlichen Dom als tragbaren Handwärmer aus Metall während des Gottesdienstes. So konnten sie mit warmen Händen die Messe zelebrieren, ohne Sorge, den heiligen Wein zu verschütten oder die liturgischen Geräte entgleiten zu lassen. Er wurde also in die Liturgie einbezogen, dennoch galt er nicht als liturgisches Gerät (Janke, Petra, in: Bednarz u.a. 2009, S. 152).
Der Evangelist, der Johannes darstellt, trägt ungewöhnlicher Weise eine Tonsur und einen Kapuzenmantel. Diese Anspielung auf Johannes als Schutzpatron der Geistlichen war im 13. Jahrhundert sehr beliebt und belegt die Herstellung gezielt für einen Kleriker (Antoine, in: Meller / Mundt / Schmuhl 2008, S. 138.). Es handelt sich also um ein Objekt der persönlichen Ausstattung hoher Kleriker am Dom zu Halberstadt.
Wurde der Wärmeapfel nicht verwendet, konnte sein Besitzer ihn in einer zugehörigen Lederhülle aufbewahren und mittels einer Aufhängung am Gürtel mitführen (Janke, in: Bednarz u. a. 2009, S. 152). Die Lederhülle formt die Kugel nach und und besteht ihrerseits auch aus zwei Schalen. Sie setzen sich jeweils aus zwei Lederstücken zusammen – einem runden und einem trapezoid für die Wandung geformten. Zwei Nähte verbinden sie zur Halbkugelform und bilden zugleich Teil der Dekorierung. Innen kleidet Filz die Lederhülle aus.
Die Oberfläche überziehen in das Leder geprägte Darstellungen. Tiere, je zwei Hasen und zwei Hunde, in liegenden Rauten und vier Wappen mit quer gekreuzten Balken wechseln sich ab. Letztere könnten die Wappen der Familie des Auftraggebers sein; sie konnten bislang allerdings nicht identifiziert werden (Kluttig-Altmann 2016, S. 107). Die Kalotte in der unteren Kugelhälfte zieren in vier Segmentbögen Hund, Hase, Vogel und Pferd (?).
Wärmeäpfel wurden schon in karolingischer Zeit verwendet, aber erst ab Ende des 12. Jahrhundert vor allem im Rhein-Maas-Gebiet, in England und in Paris in größerer Zahl produziert. Den Dekor bestimmten vor allem christliche Motive und Ornamente. Im 16. Jahrhundert entwickelten sich Wärmeäpfel dann zu profanen Gebrauchsgegenständen, bis im Barock die Produktion abnahm und schließlich endete. (Janke, Petra in: Bednarz u.a. 2009, S. 152-153).
Der Wärmeapfel und sein Lederfutteral bildeten seit 1936 Teil der Ausstellung. Seit 2008 befinden sie sich in der Sakristei.
Text: Hannah Henkel