"Mein Süßer freund
Sind Ihre Gedanken der Gesellschafft Treu geblieben? Ich zweiffle, denn ich wandelte gestern spät untter den Rosen im Garten umher, Sannfte kühle Lüffte flüsterten nahe bey mir, und ich glaubte Ihre Gedanken daruntter zu hören, der Mond machte auch mit Seinem halben Antliz den Abend prächtig und ich dachte Tausendmahl meinem Gleim, o mein liebster freund ich war in der that krank, Sie glauben nicht was ich alles mit den suchen im Thiergarten ausstand, ich zürnte auff die schattichten baüme und auff die Singenden Vögel, ich lieff mit den schritten Eines flüchtlings, und mein Herz empfand den angreiffendsten Verdruß, So gewis ist es daß alles daß was unßre Seele leidet auch den Cörper schmerzhafft wird, und nichts gewißer ist als daß Ich Ihnen heute sehen mus, o könt ich alle Dinge möglich machen was würd ich alles vor Wunderwerke Ihnen um Verdienste genung zu haben
Ihr Beste freundin zu sein
Lesen Sie die folgen ich machte Sapho
Sie gestern, ach lesen Sie die
lezte dreymahl /
[von Gleims Hd.:]
Heute meine scherzhafte Sapho werde schwerlich das Vergnügen haben, Sie zu sehen
Alle Stunden, alle Minuten sind besetzt. Sind sie aber diesen Morgen bey H. Sulzer so könte bey Ihm vielleicht den schönen Klagen im hayn den verdienten Lobspruch geben. Gegen zehn Uhr denke bey ihm zu seyn. herr Rode bittet sich um 8 [?] Uhr einen besuch aus.
Wenn die Weigerung eines Kußes unsere Sapho zu so fürtrefl. Klagen begeistert, wer wird Ihr nicht einen Kuß wagen?
Dieser Morgen scheint sehr schön zu seyn. Ist es nicht betrübt [betrübt über gestr.: Schade], daß ich ihn bey [bey über gestr. mit] unheiligen Geschäften zubringen soll. Glücklich ist Sapho die nur für Gesang und Musen lebt! //
[von Karschs Hd.:]
Gestern mein wehrtester Anacreon sas Ihre Sapho vor dem Gerüste des Künstlers der die Erste Hand ans Werk gelegt hat, gehen Sie hinn es anzusehen, Sie Finden keine spuhren von Zärtligkeit, und meine miene muß Ihnen die meinung daß ich verliebt wäre vollkomen bestreiten, Ich sehe so catonisch aus als wenn Ich iezt niedersäße Ein straffgedicht an mich [gestr. nieder zu] zu schreiben, meine Stirne redet von dem Vorsaz den ich habe künfftig ganz Ernst zu sein, geben Sie mir die Klagen im Hayn zurük Ich will Sie umschaffen, oder behallten Sie daß blat für sich und erwarten Ein anderes mit Ausdrüken die mir anständiger sind, Sie werden vielleicht weniger feuer in meinem künfftigen Stüken Finden, aber ich werde Sie nicht weniger lieb haben, So lange Ihre Seele nichts von Ihren schönheiten verliehren kann so lange wird Ich nicht auffhören zu sein
Ihre zärtliche Freundin
Berlin den 12 Juny [von fr. Hd.: 1761] Sapho"