Zur Werkgruppe “Landschaft“
Ein bevorzugtes Motiv von Gerda Leo waren Landschaften. Hier spielte sie verschiedene Varianten durch: Extreme Nahsichten mit starkem Anschnitt finden sich ebenso wie der weite Blick über Felder in die Ferne. Stimmungsvolle Aufnahmen zu einer bestimmten Tages- oder Jahreszeit und auch detailgefüllte Ausschnitte fanden ihren Fokus. Die Fotografin hatte einen besonderen Blick für die Natur. Die von ihr gefundenen grafischen Strukturen wie Verästelungen vor dem Himmel oder gezogene Furchen auf einem Feld ließ sie wie Zeichnungen auf der Landschaft erscheinen. Auch Oberflächenstrukturen maß sie einen wichtigen Wert bei, etwa bei Gesteinsformationen oder bei Wasserdarstellungen. Mittels der Ausschnittwahl, verschiedenen Schärfeebenen und der Betonung von Licht und Schatten konnte Gerda Leo elementare Eigenschaften, das sogenannte 'Wesen der Dinge‘ hervorheben oder spielerisch die visuellen Möglichkeiten des fotografischen Bildes ausloten - ein erklärtes Ziel des "Neuen Sehens“.
Zum Motiv “Auf der Straße nach Reideburg“
1929 arbeitete Gerda Leo einige Wochen als Assistentin bei Albert Renger-Patzsch (1897–1966), dessen 1928 erschienenes Buch "Die Welt ist schön“ sie sehr schätzte. Als "Fotograf der Dinge“ und bedeutender Vertreter des "Neuen Sehens“ verfolgte Renger-Patzsch dieselben künstlerischen Ziele und eine markante Formensprache. Vor diesem Hintergrund ist Gerda Leos "Auf der Straße nach Reideburg“ als eine Art Hommage an "Das Bäumchen“ von Renger-Patzsch von 1929 (siehe Link unten) zu betrachten. Der kühlen Strenge mit dem beschnittenen, über das Bild hinausgehenden, nicht mehr sichtbaren Geäst in Renger-Patzschs Aufnahme, setzte Gerda Leo allerdings eine atmosphärische Wiedergabe entgegen. Ihren Kirschbaum bildete sie in der Gänze ab, mit allen krummen Ästen und mit abgeplatzter Rinde. Sie hielt einen anderen Baum fest: Einen der dem Wind auf dem freien Feld an der Landstraße trotzt, einen der in Anbetracht des grauen, stark bewölkten Himmels, den Wetterkapriolen standhält. Der noch junge Kirschbaum von Renger-Patzsch weist eine glatte Rinde auf, auf der durchgängig ein heller Streifen das Sonnenlicht reflektiert. Das Geäst ist deutlich sortierter als bei Leos Baum. Dieser Ordnung entspricht der frisch getrimmte Rasen und der wolkenlose Himmel, der als weißes Band fast ohne Graustufen auskommt. Beiden gelingt es, das Wesen des Gegenstandes zu erfassen. Doch zeigt sich gerade im Vergleich die Diskrepanz, worin und wie sich das Wesen der Dinge auszudrücken vermag.