Im Jahre 1908 bereiste Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) erstmalig gemeinsam mit den Freunden Emmi und Hans Frisch das Ostseeheilbad Burg auf der Insel Fehmarn. Dieser Aufenthalt regte den Künstler zu zahlreichen Landschafts- und Architekturstudien an, die gemeinsam mit den drei folgenden Fehmarn-Besuchen in den Jahren 1912 bis 1914 ein anschauliches Konvolut an Ölgemälden, Zeichnungen, Radierungen und Holzschnitten hervorbrachten. Unsere Schwarz-Weiß-Radierung Großes strohgedecktes Bauernhaus stammt, obwohl später auf das Jahr 1905 zurückdatiert, aus der Zeit der ersten Fehmarnreise. Sie zeigt ein für diese Region typisches "Dänenhaus" in ländlicher Idylle in einem eingezäunten Gartengrundstück. Mit schnellem, gestischem Strich fängt Kirchner die Stimmung auf der Ostseeinsel ein. Alles ist in Bewegung - die Bäume und Sträucher des Gartens, der Himmel, selbst das Fachwerkhäuschen scheint sich dem rauen Temperament des Ostseewindes anzupassen. Ernst Ludwig Kirchner demonstriert hier Fehmarns harmonische Einheit von Natur und Zivilisation, deren Unversehrtheit und friedvolles Gleichgewicht gewahrt bleiben muss. Der Gartenzaun markiert diese Grenze und hindert den Betrachter gleichsam an dem Eintritt in dieses ‚Heiligtum’. Das Große strohgedeckte Bauernhaus ist aufgrund seines heimatlichen Sujets der Aktion Entartete Kunst entgangen und konnte als eines der wenigen Bilder E. L. Kirchners im Besitz der Jenaer Kunstsammlung bleiben.
Probedruck, schwarz-grün; sign. u. r.: E L Kichner 05.
Provenienz: Botho-Graef-Stiftung R 4 (1918) - Kunstverein Jena, Sammlung moderner Kunst, Nr. 246; Œuvreverzeichnis Schiefler Ae(Z) 558; Dube R 50.