Bei seinen Ausflügen ins Umland der Hauptstadt besuchte Feininger wiederholt die märkische Ackerbürgerstadt Teltow zwischen Berlin und Potsdam. Von einem Garten oberhalb des Teltowkanals hatte er schon 1910 den Blick auf die Stadtkirche St. Andreas gezeichnet (Lyonel Feininger. Von Gelmeroda nach Manhattan, Ausst.-Kat. Neue Nationalgalerie, Berlin, 1998, Abb. S. 108). Diese war 1801 abgebrannt und 1811/1812 nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel in neugotischem Stil wieder aufgebaut worden. 1912 entstand die erste Gemäldefassung des Motivs, die Feininger im Jahr darauf beim „Ersten Deutschen Herbstsalon“ in Berlin zeigte und die der Pariser Modeschöpfer Paul Poiret erwarb (seit 1944 verschollen). Die zweite Version von 1918 gliederte der Künstler in sich durchdringende und überschneidende Recht- und Dreiecksflächen. Unter einem grün-bräunlichen Himmel wächst aus dem gleichmäßigen Auf und Ab warmer ziegelroter Hausdächer der Kirchturm heraus, dem kühles, zartes Blau eine spirituelle Dimension verleiht. Das Emporstreben des Turms wird verstärkt durch die Einbindung des Baukörpers in eine rhythmische Folge aufsteigender Dreiecksformen. Den Kontrapunkt bilden die abwärtsführenden Dreiecke eines dunklen Baums direkt daneben. Im Geist der Fuge Johann Sebastian Bachs hat Feininger ein Bild komponiert, in dem er die aus dem Kubismus übernommene kristalline Flächengliederung nicht mehr expressiv-dynamisch, sondern klassisch-beruhigt einsetzte. Im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs scheint die Ausgewogenheit den Wunsch nach Stille und Selbstbesinnung zu signalisieren. | Dieter Scholz
