Rudolf Küglers 1962 entstandene Radierung spiegelt die Erfahrungen der Nachkriegszeit wider, in der Berlins Stadtbild infolge der Bombenangriffe von zahlreichen Baulücken, Brachen und baufälligen Häusern geprägt war. Umrahmt von blattlosen Bäumen und einem bedeckten Himmel stehen die kargen Mietskasernen wie in einer Umarmung zueinander. Keine topographischen Begebenheiten, sondern die Gefühlslage Berlins drückt sich in den fassadenlosen, kahlen Wänden aus. Die Spichernstraße und ihre Umgebung gehörten zu den typischen Altbauvierteln Berlins und wurde von vielen jüdischen Bürger*innen, Kreativen und Intellektuellen bewohnt. Unweit der Spichernstraße wohnte auch Erich Kästner, als er 1929 das Kinderbuch „Emil und die Detektive“ schrieb. Das Haus fiel später ebenfalls dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Viele Orte in weltberühmten Kinderbuch waren von der unmittelbaren Nachbarschaft der Spichernstraße inspiriert. Der Künstler Rudolf Kügler, selbst in Berlin geboren, studierte ab 1946 an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee und an der Hochschule für bildende Künste in Berlin. 1950 siedelte er vom Ost- in den Westteil Berlins über. 1956 wurde er zum Professor an die Hochschule für Bildende Künste in West-Berlin berufen.
