Als gebürtiger Thüringer studierte Edmund Friedrich Kanoldt zunächst unter Friedrich Preller dem Älteren in Weimar und später unter Ferdinand Keller in Karlsruhe Malerei. Beeinflußt von Prellers spätromantisch-idealistischer Naturauffassung, wie sie uns beispielsweise in dessen Odysseus-Zyklen entgegentritt, gelangte Kanoldt zu einer Darstellungsweise, in der sich stilisierte Landschaft, mythologische Staffage und dramatische Stimmungswerte zu einer Einheit verbinden. Am Beginn dieser ›mythologischen Seelenlandschaften‹ stand 1877 seine erfolgreiche Komposition: »Odysseus auf der Ziegenjagd« (Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen).
Anders als bei seinem Lehrer dominiert in Kanoldts Kompositionen das landschaftliche Element. Die Staffagen – in der Regel handelt es sich um tragische weibliche Figuren der antiken Mythologie – verstärken den Ausdruck der Landschaft. Im Bild »Penelope am Meeresstrand« entsprechen die kühlen Blau- und Grautöne, der abweisende Charakter der Felsgestade und das durch die starke Bewölkung gedämpft wirkende Licht der inneren Zerrissenheit, Melancholie und Unruhe der mythologischen Gestalt. In Penelope, der Gemahlin des Odysseus, erblickte einst das Bildungsbürgertum das Musterbild einer getreuen Ehegattin, die auch nach zwanzigjähriger Abwesenheit ihres Ehepartners die Hoffnung auf dessen Rückkehr noch nicht aufgibt und sich in unendlicher Sehnsucht nach ihm verzehrt. | Gerd-Helge Vogel