Titel: Die heilige Schrift des alten und neuen Testaments
Künstler: Gustave Doré
Drucker: Eduard Hallberger
Druckort: Stuttgart
Druckjahr: 1875
Die Bilderbibel von Gustave Doré (1832-1883) erschien mit 230 Illustrationen 1866 in französischer Erstausgabe und wurde zu einem durchschlagenden Erfolg. Trotz hoher Kosten war die erste Auflage innerhalb weniger Tage vergriffen. Der als Sohn eines Straßenbauingenieurs in Straßburg geborene Doré zeichnete bereits im Kindesalter, wobei sein außerordentliches Talent durch seine Mutter gefördert wurde. Ihr ist es auch zu verdanken, dass Doré nicht den Plänen seines Vaters folgen musste, der für ihn eine technische Karriere vorgesehen hatte. Doré soll den Wunsch geäußert haben, die gesamte Weltliteratur zu illustrieren. Die Bibel war für ihn dabei eines der schönsten Bücher. Dabei wollte er die Bibel nicht aufgrund seines katholischen Glaubens illustrieren, vielmehr versprach er sich von der illustrierten Herausgabe der Bibel, die im 19. Jh. noch als Volksbuch bezeichnet werden konnte, einen hohen finanziellen Gewinn. Die Illustrationen und vor allem die Motivwahl von Doré stellen etwas völlig Neues in der Geschichte der Bibel-Illustrationen dar. So bevorzugt Doré dramatische Geschichten. Häufig finden sich Massenszenen sowie Schlachtszenarien. Auch orientalisch anmutende Prunkarchitektur, überladene Prachtgewänder und opulente Paläste sind deutlich häufiger anzutreffen als die karge Landschaft des Heiligen Landes. Generell sind die Bilder von Doré regelrecht bedrohlich und thematisieren häufig Tod, Leid und Bedrängnis. Ebenso wie die Bibel von Julius Schnorr von Carolsfeld beeinflusst die Bilderbibel von Gustave Doré durch die einprägsamen Illustrationen ganze Generationen und ihre Bildvorstellungen von den Geschichten der Heiligen Schrift. Im Gegensatz zu Schnorr von Carolsfeld steht bei Doré aber nicht die Vermittlung der biblischen Geschichten im Mittelpunkt, sondern vielmehr sollen seine atmosphärischen Geschichten ein Massenpublikum ansprechen.
Dieser Umstand lässt sich auch an Dorés Interpretation des Turmbaus zu Babel erkennen. Im Hintergrund sieht man den gigantischen Turm aufragen, der sich spiralförmig in den Himmel windet. Doré orientiert sich dabei offensichtlich an dem seit Bruegel verbreiteten Motiv. Die Spitze des Turms verschwindet in den bedrohlich dunkel wirkenden Wolken. Die Menschen im Vordergrund wirken niedergeschlagen und ratlos, eine Person in der Mitte reckt verzweifelt die Hände zum Himmel. Es scheint, als hätte Doré die Szene einfangen wollen, als Gott die Sprache der Menschen verwirrt hat und diese sich nicht im Stande sahen, weiter am Turm zu arbeiten. Die monumentale Szenerie des Turms und die teilweise übertriebene und theatralische Mimik und Gestik der Personen sind typisch für die Inszenierungen von Gustave Doré.