Dargestellt ist der dritte Sohn von Heinrich II. und Katharina de Medici, der spätere König Heinrich III. 1551 in Fontainebleau geboren, wurde er nach einer unrühmlichen Herrschaft und einer unglücklichen Rolle während der Hugenottenkriege 1589 in St. Cloud ermordet. Durch seine Kinderlosigkeit erlosch mit ihm die Linie der Valois. Intelligenz und Bildung, auf der anderen Seite aber eine gewisse Charakterschwäche, die ihn von seinen Leidenschaften und Günstlingen abhängig machte, werden dem Erwachsenen nachgesagt. Da der Herzog auf der Porträtzeichnung etwa 10 Jahre alt ist, muß jene zu Anfang der 60er Jahre, d.h. zur Blütezeit von Clouets Schaffen, entstanden sein. Als Hofmaler dreier französischer Könige - besungen von Dichtern wie du Bellay und Ronsard - zeichnete jener die Geschichte der letzten Valois und ihre Hofgesellschaft in Bildnissen. Von den vielen, ihm zugeschriebenen Blättern geht der größte Teil auf Mitarbeiter seiner Werkstatt zurück. Das Knabenbildnis des kleinen Herzogs von Anjou gehört zu den relativ wenigen eigenhändigen Zeichnungen. Hiervon besitzt die Pariser Nationalbibliothek eine Kopie.
Der für sein Alter sehr ernst wirkende Knabe trägt ein pelzverbrämtes Wams und eine Ordenskette. Seinen hübschen Kopf schmückt ein keck sitzendes Federbarett.
Das 16. Jahrhundert drückt sich in Frankreich vor allem in den Kreidebildnissen, sog. »Crayons« aus, die sich im höfischen Milieu großer Beliebtheit erfreuten und von den Clouets (Vater und Sohn, Jean und François) zu höchster Vollkommenheit entwickelt wurden. Die Porträtzeichnungen François Clouets sind meistens in schwarzer und rötlicher Kreide gearbeitet. Hinzu kommt gelegentlich zusätzlich ein Ockerton oder Braun.
Text: Sigrid Achenbach in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 306-307, Kat. VI.3 (mit weiterer Literatur)