Die Ruine der Klosterkirche wird von Kraus in einer einzigartigen Verbindung von Architektur und Naturraum gezeigt. Im Vordergrund des Blattes sind Wanderer dargestellt. Andächtig bestaunen sie die Reste der Chorpartie der Klosterkirche. Ihre aufragenden, quadergefügten Mauern werden zum Teil durch Büsche und Bäume eingefast. Durch den Triumphbogen, der von den Bögen der Seitenschiffe flankiert wird, öffnet sich der Blick in das Langhaus der ehemaligen Kirche. Detailgetreu gibt Kraus die architektonische Gliederung der Säulenbasilika wieder. Um einen Eindruck von den Maßverhältnissen des monumentalen Bauwerkes zu geben, positioniert er geschickt die Figuren in den Bildvordergrund und an den nördlichen Vierungspfeiler der Kirche. Georg Melchior Kraus, der in Weimar lebte und mit Goethe im engen Kontakt stand, besuchte wohl mehrmals die Ruine der Klosterkirche im Rottenbachtal. An Hand dieses Blattes wird deutlich, welch großes Interesse Kraus der Landschaftsdarstellung entgegenbringt. Vor allem von den großen Kunstzentren gingen wesentliche Anregungen zum Naturstudium aus. Auch in Weimar konnte sich durch den mit Goethe befreundeten Kraus eine Zeichenschule herausbilden, die von ihm seit 1780 geleitet wurde. Im späten 18. Jahrhundert entdeckten die in Weimar studierenden Maler und Zeichner zunehmend die heimische Landschaft, die der Wirklichkeit entsprechend, aber auch "mythisch" verklärend und "schicksalshaft" dargestellt wurde. Die von Kraus unternommenen Studienreisen - 1784 war er gemeinsam mit Goethe im Harz und 1793 weilte er längere Zeit in Oberitalien - übten auf dessen Landschaftsdarstellungen großen Einfluss aus. [Lutz Unbehaun]
Signiert unten links "G. M. Kraus".