Der Korbkinderwagen stammt aus dem Besitz der Familie Oscar (*1885, †1965) und Bertha Funcke (*1892, †1991). Bertha war eine Tochter des Hagener Bankiers Ernst Osthaus und die Schwester des bekannten Kunstmäzens und Museumsgründers Karl Ernst Osthaus. Das Ehepaar hatte fünf Kinder: Erika (*1913), Ernst Oskar (*1915), Wilma (*1916), Liselotte (*1918) und Gerda (*1920). Der Kinderwagen wurde nach Erinnerung der Spenderin Liselotte Funcke für sie und ihre vier Geschwister benutzt. Vermutlich war er 1913 zur Geburt der ältesten Tochter Erika angeschafft worden.
Es handelt sich um einen hochwertig verarbeiteten Korbkinderwagen, wie er zu Beginn des 20. Jahrhunderts gebräuchlich war. Am Weidenkorb befinden sich die Halterungen für ein Faltverdeck, das nicht erhalten ist. Der Wagen besitzt eine Federung, wie sie damals auch für Kutschen üblich war, und eine Vollgummibereifung. In den neunziger Jahren wurde das Chassis in Teilen restauriert. Als Hersteller kommen die Brandenburger Firma Brennabor sowie die E. A. Naether AG in Zeitz in Frage. Sie waren die beiden wichtigsten Hersteller solcher Kinderwagen.
Liselotte Funcke hatte nach dem Abitur 1937 bis 1940 in Berlin Betriebswirtschaftslehre studiert. Ab 1944 war die Diplom-Kauffrau im Familienunternehmen, die 1842 in Hagen gegründete Schrauben- und Muttern-Fabrik Funcke & Hueck, als Prokuristin tätig. Wie ihr Vater Oscar trat sie 1946 in die Freie Demokratische Partei (FDP) ein. Dort übernahm sie verschiedene Funktionen, seit 1964 im Bundesvorstand, 1977 bis 1983 war sie stellv. Bundesvorsitzende. 1950 wurde sie in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt, ihm gehörte sie bis 1961 an. Nach der Bundestagswahl 1961 zog Liselotte Funcke als Abgeordnete in den Bundestag in Bonn ein. Hohe Anerkennung erwarb sie sich 1969 bis 1977 als Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags sowie 1972 bis 1979 als Vorsitzende des Finanzausschusses.
Im November 1979 holte sie Johannes Rau (SPD) als Landesministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr in sein Kabinett zurück nach NRW. Die 1980 für die FDP verlorene Wahl beendete diese Aufgabe allerdings frühzeitig. Von 1981 bis 1991 war Liselotte Funcke die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, Orden und Ehrungen von unterschiedlichen Staaten und Organisationen. 2003 wurde sie Ehrenbürgerin der Stadt Hagen. Zeit ihres Lebens war Liselotte Funcke eine engagierte Förderin des Stadtmuseums und Stadtarchivs ihrer Heimatstadt. Nach ihrem Tod 2012 gelangte wunschgemäß ein Teil ihres Nachlasses in die beiden Einrichtungen. Darunter befinden sich auch der Kinderwagen sowie alle ihre Orden und Auszeichnungen.
Ralf Blank
Quelle: StadtA Hagen, NL Liselotte Funcke