Schwarz-Weiß-Fotografie eines unbekleideten Mannes. Er ist seitlich vor einem neutralen Hintergrund abgebildet und vom Kopf bis etwa zu den Knien sichtbar. Die Arme hängen locker am Körper herab. Den Kopf hat er leicht zur Seite gedreht. Er blickt geradeaus, links an der Kamera vorbei.
Weil heute nicht mehr nachvollzogen werden kann, unter welchen Umständen diese Fotografie entstand, wird die Abbildung hier nur zum Teil in Klarform gezeigt.
Kontext:
Die Abbildung der Person wurde in zeitgenössischen Publikationen der Sexualwissenschaft als Beispiel einer sog. „Gynosphysie“, „Gynandrie“ oder „Weibmannheit“ genutzt. Dieses Konzept meint, dass der männliche Körper nicht den gesetzten Standards entspricht, was z. B. das Verhältnis von „Beckenlinie“ zur „Schulterlinie“ anbelangt. Neben einem angeblich weiblichen Becken wurden dem auf der Fotografie abgebildeten Mann auch ein weiblicher Gesichtsausdruck sowie eine weibliche Haltung attestiert (vgl. Hirschfeld: Geschlechtsübergänge, Text vor Tafel XVII sowie Neugebauer: Hermaphroditismus beim Menschen, S. 657). Dies ist im Kontext des von Hirschfeld entwickelten „Zwischenstufenkonzepts“ zu verstehen, das u. a. auch mit Körpermaßen arbeitete. Der „Zwischenstufentheorie“ lag die Annahme zugrunde, dass menschliche Eigenschaften eine männliche oder eine weibliche Ausprägung aufwiesen, die sich messen ließe, darunter auch Körpergröße, Knochen, Schädel, Becken, Gelenke, Muskulatur, aber auch z. B. Mimik und Handschrift.
Allgemein und sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstige körperliche Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstige seelische Eigenschaften.
Mit diesem Konzept verlagerte Hirschfeld bereits 1907 das biologisch-genitale Geschlecht hin zu einem, das u. a. auch auf der erlebten Identität beruhte. Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, Rainer (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher ging damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.
Da die abgebildete Person laut Bildunterschrift vermutlich aus Makave/Tonga stammt, ist das Bild darüber hinaus in einem kolonialistischen Kontext zu betrachten.