Das attraktive Naturschauspiel des bei Tivoli ins Tal stürzenden Flusses Anio war ein beliebtes Ziel der Italienreisenden. Die Stadt mit den Wasserfällen und antiken Ruinen zog zahlreiche Künstler an. Bereits 1812 zeichnete der 14jährige Blechen eine Ansicht der Wasserfälle nach fremder Vorlage (P. O. Rave, Karl Blechen, Berlin 1940, Kat.-Nr. 42). Als er sich seinen Wunsch, nach Italien zu reisen, 1828 erfüllen konnte, besuchte er bald nach seiner Ankunft in Rom das unweit gelegene Tivoli. Eine Reihe von Skizzen und Gemälden, die zum Teil erst nach der Rückkehr im Berliner Atelier entstanden, sind der Ertrag dieses mehrtägigen Aufenthaltes (ebd., Kat.-Nr. 879–882). In dieser Darstellung widmete sich Blechen dem kleinsten und unspektakulärsten der Sturzbäche, der sich über die schroffen Abhänge des vom grellen Sonnenlicht beschienenen Karstgesteins ergießt. Schattige Gesteinsspalten lenken den Blick in den Abgrund, in den auch der abschüssige Weg führt, an dessen Rand staubiges Gesträuch sich mühsam behauptet. Kein sich in die Tiefe staffelnder Landschaftsraum, keine Staffage, keine erzählerischen Details im Vordergrund, sondern kahle ocker-gelbe Felswände bestimmen die lichtdurchflutete Komposition. Konzentriert auf landschaftliche Strukturen gab Blechen ein Naturfragment in unvermittelter Nahsicht. | Birgit Verwiebe