Ganzkörperliche Schwarz-Weiß-Fotografie, die einen nackten jungen Mann zeigt, der vor einer Steinmauer auf einer Steintreppe steht. Einen Fuß hat er gegen die Wand hinter sich gestellt, eine Hand liegt hinter seinem Rücken, mit dem er sich vermutlich gegen die Mauer lehnt. In der anderen Hand hält er eine Blume. Die Aufnahme erfolgte frontal, die Person schaut direkt in die Kamera. Von der Steintreppe ist nur jene zu sehen, auf der die Person steht sowie die zwei nächstfolgenden Stufen nach oben.
Weil heute nicht mehr nachvollzogen werden kann, unter welchen Umständen bzw. zu welchen Bedingungen diese Fotografie entstand, wird die Abbildung hier nur zum Teil in Klarform gezeigt.
Kontext:
Das Bild stammt aus dem Werk des Fotografen Wilhelm von Gloeden (1856–1931), der u. a. Akte sizilianischer junger Männer anfertigte. Magnus Hirschfeld, Sexualwissenschaftler und Sexualreformer, und andere nutzten dieses Bild als Beispiel einer Gynäkomastie (vgl. z. B. Hirschfeld: Geschlechtsübergänge, Text vor Tafel XI).
Dieses Foto war Teil der Bilderwand „Sexuelle Zwischenstufen“, die vermutlich zum ersten Mal 1922 auf der „Hundertjahrfeier deutscher Naturforscher und Ärzte“ in Leipzig gezeigt wurde. Der Gründer des Instituts Magnus Hirschfeld wollte mit der Bilderwand seine um 1910 vorgelegte „Zwischenstufentheorie“ veranschaulichen und untermauern.
Sehr verkürzt gesagt, beschreibt das Konzept der Zwischenstufen die Tatsache, dass jedes Individuum sowohl „männlich“ als auch „weiblich“ ausgeprägte Eigenschaften vereint, die einen oder mehrere der vier Bereiche betreffen können: 1. die Geschlechtsorgane, 2. sonstigen körperlichen Eigenschaften, 3. den Geschlechtstrieb und/oder 4. sonstigen seelischen Eigenschaften.
Mit diesem Konzept verlagerte Hirschfeld bereits 1907 das biologisch-genitale Geschlecht hin zu einem, das u. a. auch auf der erlebten Identität beruhte. Damit ebnete die „Zwischenstufentheorie”, die „während der Institutszeit die wissenschaftliche Leitidee für die meisten Mitarbeiter“ blieb, den Weg für das Verständnis von sexueller Vielfalt und Variabilität. (vgl. Herrn, R. (2022): Der Liebe und dem Leid, Suhrkamp, S. 31). Einher ging damit auch eine Entpathologisierung und Entkriminalisierung des vermeintlich Abweichenden, von Menschen also, die außerhalb der gesellschaftlichen Norm standen.