Massiver Glasstab aus entfärbtem Glas, gelbstichig, darauf angeschmolzen ein winziges stilisiertes Nest mit blauer und gelber Emailbemalung in geschwungenen Bögen, darüber aus hellblau-opakem Glas ein Wellenband, auf dem ein naturalistisch vor der Lampe geformter kleiner Vogel aus Beinglas sitzt, mit Augen aus amethystfarbenem Glas und angesetztem Schnabel mit rubinroten Kröseleinschmelzungen.
Das Fragment wurde im Wassergraben westlich vom Haupteingang des Jagdschlosses Grunewald in mehr als 2 Meter Tiefe geborgen. Der Graben wurde in der ersten Dekade des 18. Jahrhunderts verfüllt und bepflanzt. Es handelt sich dabei demnach um ein sehr frühes Beispiel von lampengeblasenem Glas, also vor einer gerichteten Flamme geformtem, figurativem Glas. Das Verfahren wurde von Mitte des 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Loire-Tal in Zentralfrankreich angewandt. Ein wichtiges Zentrum war die kleine Stadt Nevers, daher bezeichnet man die dort hergestellten Arbeiten als Nevers-Figuren oder Verres de Nevers. Sie umfassen einfache volkstümliche oder religiöse Einzelfiguren bis hin zu aufwendigen Tafelaufsätzen oder Szenen in Kästen, Dioramen. Die Qualität der Ausführung variiert, wobei dieser Bodenfund in der Feinheit seiner Komposition und Sorgfalt seiner Ausführung zu den herausragenden Beispielen zählt. Als anderen Ursprungsort ist an die Innsbrucker Hofglashütte zu denken, die ebenfalls im ausgehenden 16. Jahrhundert vergleichbar qualitätsvolles Lampenglas produzierte (vgl. Beispiele im Kunsthistorischen Museum in Wien).
Leider lässt sich nicht rekonstruieren, ob eine Taube in ihrem Nest oder ein Schwan auf dem Wasser dargestellt ist, noch in welchen Kontext das Fragment einst gehörte bzw. zu welchem Zweck es diente. Ist es die Spitze einer gläsernen Schreibfeder, Teil eines dekorativen Aufsatzes oder gar einer Krippenszene? Unbegreiflich, dass man es einst im Wassergraben entsorgte.
Verena Wasmuth