Die geflügelte Schlange links unten kennzeichnet die Werkstatt Lucas Cranachs d. Ä.
Obwohl die Bildkomposition direkt an die Mariendarstellung mit dem Jesusknaben anschließt - eine junge Mutter, die ihr Neugeborenes auf einem Windeltuch gebettet hält - ist eine Dame der Hofgesellschaft in der reichen Tracht des 16. Jahrhunderts zu sehen. Hohe Bäume und eine Burg auf steilem Fels bilden den Hintergrund. Nur das geübte Auge entdeckt eine mythologische Anspielung: Im Buschwerk unterhalb der Burg hockt der heilige Johannes Chrysostomos (Goldmund, um 354-407). Als Kirchenvater der Ostkirche, vielgerühmter Prediger und Patriarch von Konstantinopel betrieb dieser sozialreformerische Programme, scheiterte jedoch am Widerstand der Gegner. Die Überlieferung der altchristlichen Lehre von der Eucharistie geht auf ihn zurück. Im ausgehenden Mittelalter entstand die wohl antiklerikale Legende vom Einsiedler in der Wüste. Eine Königstochter soll sich in die Höhle des Heiligen verirrt haben und darauf Mutter eines Kindes geworden sein. Für dieses Vergehen, nach dem ihn kein späterer Papst kanonisiert hätte, sollte Chrysostomos das schmähliche Gelübde erfüllen, unbekleidet und auf allen Vieren kriechend dem Ende seiner Tage zu harren. Cranach hatte das Thema in Anlehnung an Dürers Blatt bereits 1509 in einem Kupferstich aufgegriffen.
Lit.: Lehfeldt/Voss 41 (1917), S. 391f.
Katalog Krauß/Schuchardt (1996) 195, (Abb. S. 244)
Kunst der Reformationszeit (1983), S. 27f.