Der in Westfalen geborene Theobald von Oer absolvierte an der Düsseldorfer Kunstakademie eine traditionelle Ausbildung zum Historienmaler, die er 1837 mit einer mehrjährigen Reise durch Italien krönte. Diese galt nicht nur den bekannten Stätten eines klassischen Bildungsideals, sondern auch dem einfachen, von städtischer Zivilisation noch unberührten Landleben. In den farbenfrohen Alltags- und kostbaren Festtagstrachten der Dorfbewohner fand Oer einen reichen Fundus an Kostümen, auf die er später als erfolgreicher Historienmaler zurückgreifen konnte.
Die junge Italienerin verkörpert mit ihren dunklen, lebhaften Augen, mit ihrer geradezu römischen Nase, mit ihren geschwungenen, von einem zarten Lächeln umspielten Lippen, mit ihrem sonnengebräunten Teint unter dunklem Lockenhaar in idealer Weise die damals gängige Vorstellung des Nordens von einer rassigen, doch tugendhaften, weiblichen Schönheit des Südens. Das in Grün, Rot und Weiß gehaltene Farbspiel ihrer Tracht betont noch das italienische Moment des Gemäldes. Neben diesem Werk malte Oer während seiner Reise zahlreiche Skizzen, Zeichnungen sowie weitere Ölgemälde und bediente damit eine - durch verklärte Italien-Sehnsucht und beginnenden Italien-Tourismus - entstandene Nachfrage des zeitgenössischen Kunstmarktes.
Wenngleich die hier Dargestellte namentlich überliefert ist und wenngleich Oer - neben seiner Tätigkeit als Historienmaler - auch ein gefragter Portraitist war, so ist dieses "Bildnis einer Italienerin" eher als Visualisierung eines populären Typus denn als individuelles Portrait zu verstehen. (...)
S.B.