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Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Uhren und Musikinstrumente [V 29]
Illaire, Jean Henry: Pendule „Die Liebe besiegt die Zeit“, um 1770, V 29. (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg CC BY)
Herkunft/Rechte: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Ziebe, Oliver (Berlin, 2020) (CC BY)
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Jean Henry Illaire, Pendule „Die Liebe besiegt die Zeit“, um 1770, Inv. Nr. V 29

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Beschreibung

Das erste Inventar des Neuen Palais in Potsdam aus dem Jahr 1784 erwähnt die Uhr „auf einer höltzern vergoldeten Console“ im zweiten Vorzimmer eines der beiden Fürstenappartements im ersten Obergeschoss des nördlichen hohen Flügels. Dabei handelt es sich offenbar um eine gezielte Erwerbung König Friedrichs II. von Preußen zur repräsentativen Ausstattung seines nach dem Siebenjährigen Krieg vollendeten Neuen Palais. In besagtem Schlossflügel befanden sich die Wohnungen für seinen Bruder Heinrich (Erdgeschoss) und möglicherweise auch für seine Schwester Amalie (Obergeschoss). Die Wahl dieses seit dem Ende des 17. Jahrhunderts beliebten Uhrentyps tête de poupée (Puppenkopf) zeigt beispielhaft den rückwärtsgewandten Geschmack des Königs bei der Einrichtung seines Prunkbaus. Zu dessen in den 1760er Jahren absolut veralteten hochbarocken Architektursprache passen jedoch solche Einrichtungsgegenstände aus der Zeit des französischen Königs Ludwig XIV. Der Entwurf zu diesem Uhrengehäuse wird dem Pariser Ebenisten André Charles Boulle (1642-1732) zugeschrieben, in dessen Besitz sich eine Rötelzeichnung der Pendule auf Konsole befand. Auftraggeber war vermutlich Nicolas Desmaret (1648-1721), Generalkontrolleur der Finanzen und Neffe des französischen Finanzministers Colbert. In der Folge wandelten Boulle, aber auch andere Pariser Werkstätten das Uhrenmodell mehrfach ab und kombinierten es mit Konsolen für die Wandbefestigung, Piedestalen oder mit Cartonnieren (Möbelstück zur Aufbewahrung von Dokumenten und Papieren). Die Uhr im Neuen Palais stand ursprünglich auf einer schweren, schwarz gestrichenen Holzkonsole mit „Holzbronze verziert“ (Inventar von 1811), war also an der Wand befestigt. Die Konsole verschwand um die Mitte des 19. Jahrhunderts, und die Pendule wird in verschiedenen anderen Räumen auf einem Kamin platziert.
Das auf einem Postament mit vier konisch zulaufenden Beinen stehende Gehäuse ist mit Schildpatt und eingelegten Messingadern furniert. Die Marketerie zeigt an den Seiten und am oberen Abschluss verschlungene Blattranken mit Blüten, während die in Rhomben eingelassenen Kreuzblumen auf der Fläche unterhalb des Zifferblatts aus blau hinterlegtem Horn bestehen. Alle Kanten sind mit glatten oder profilierten vergoldeten Messingbeschlägen eingefasst. Symmetrisch angebrachte Akanthusblätter nehmen die Rundung unterhalb des Zifferblattes auf. Die Füße und Applikationen bestehen aus feuervergoldetem Gelbguss. An den drei Schauseiten des Podestes hängt locker eine prächtige vergoldete Decke, auf der Chronos, der hier mit Kronos/Saturn gleichgesetzt ist, mit aufgestütztem linken Arm und leicht erhobenem Oberkörper liegt. In seiner erhobenen rechten Hand hält er die Waage empor, die linke umfasst den Griff einer Sense, deren Blatt verloren ist. Bekrönt wird die Uhr von dem geflügelten Eros (Amor) als Symbol der Liebe mit einem Palmwedel in der linken Hand.
Das Modell der Saturn-Figur schuf der französische Bildhauer François Girardon (1628-1715), der mit seinem Atelier im Louvre ein Nachbar Boulles war, zuerst für das Bassin de Saturne (oder l’Hiver) in den Gärten von Versailles (1677 vollendet). Als Vorbild für den Amor an der Uhr diente ein Werk des Bildhauers François Duquesnoys (1597-1643). Bei einer früheren Restaurierung der Pendule sind die Attribute der beiden Akteure Chronos und Eros allerdings sinnentstellend angebracht worden. Bei der eigentlichen Bildidee von "Le Temps couché", so der französische Titel, entwendet Eros dem Chronos die Sense und triumphiert damit als Sieger über die Zeit als oberer Abschluss der Uhr über den unter dem Zifferblatt liegenden, geschlagenen Zeitgott. Denn ohne seine Sense ist Chronos machtlos, ihm bleibt nur noch die Waage in seiner Hand, mit der er das menschliche Tun misst. Sie verweist aber auch auf ein wesentliches technisches Teil im Uhrmechanismus: Die Waag reguliert die Uhrenhemmung und sorgt damit für einen gleichmäßigen Gang – so wie der Zeitgott Chronos Sinnbild für den gleichmäßigen und nicht aufzuhaltenden Ablauf der Zeit ist. (Silke Kiesant)

Beschriftung/Aufschrift

Signatur auf dem Zifferblatt: Henrÿ. Illaire. Berlin

Vergleichsobjekte

mehrere Versionen, u.a. für den Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz mit Barometer und einem Werk von Jacques III. Thuret, um 1712-1715; als Bekrönung eines Cartonniers mit einem Werk von Thuret, um 1715-1720; als Kopf eines Regulators für den Grafen von Toulouse mit einem Werk von Charles Le Bon, um 1719; auf einem Piedestal mit einem Werk von Thuret, um 1720

Material/Technik

Eichenholzkern, innen gefasst mit schwarzer Farbe; Marketerie aus Schildpatt, furniert und Messing, eingelegt; Gelbguss, feuervergoldet, ziseliert, graviert; Messing; Stahl; Email; Glas

Maße

Höhe 103 cm, Breite 52 cm, Tiefe 32 cm

Ausführliche Beschreibung

Das Uhrwerk besteht aus einem viereckigen Messing-Vollplatinenwerk (H: 17,3 cm; B: 18,4 cm; Platinenstärke: 0,25 cm, glatte Werkpfeiler mit Ansätzen zu den Platinen, H: 4,55 cm). Ausgestattet mit einem Achttagegehwerk, Federantrieb mit umlaufenden Federhäusern, ruhende Ankerhemmung mit verstellbaren Paletten (Graham-Hemmung), ursprünglich wohl Spindelhemmung, Kadratur mit zwei Rechen auf der Vorderplatine, horizontal zwischen den Platinen gelagerte Hammerwellen, Viertelstundenschlagwerk auf zwei über dem Werk angebrachten Glocken. Das nicht mehr originale Pendel ist an einer Pendelfeder aufgehängt.
Das emaillierte, leicht nach vorn gewölbte Zifferblatt vom Typus Neuenburg (D: 27 cm) zeigt die schwarzen römischen Stunden- und die arabischen Fünfminutenzahlen, eine Minuterie mit Strichen (bei den fünf Minuten begleitet durch zwei Punkte), die beiden filigranen, durchbrochen gearbeiteten Zeiger aus vergoldetem Messing sowie drei Vierkantaufzugslöcher zwischen III und IIII sowie VIII und IX sowie über der VI. In der Mitte hinterließ der Uhrmacher seine Signatur. Unterhalb des Zifferblattes weitet sich die profilierte Rahmung in einem halben Bogen nach unten aus, so dass das nicht mehr originale Pendel mit runder Pendellinse zu sehen ist. Im Uhrenkasten deuten einige jetzt ungenutzte Löcher und Schlitze unter der Konsolplatte darauf hin, dass das wohl aus dem frühen 18. Jahrhundert stammende Gehäuse um 1770 von Illaire mit einem neuen Werk versehen wurde. Da die Uhr anfangs auf einer Konsole stand, konnte das Sekundenpendel des ursprünglichen Werks mit Gewichtsantrieb durch die Aussparungen im unteren Brett des Gehäuses frei schwingen. Auch auf der Oberseite des Gehäuses befinden sich eine größere ovale Aussparung und zwei kleinere Löcher im Kernholz, möglicherweise für einen früher vorhandenen Aufsatz für eine Glocke.
Über den Kleinuhrmacher Jean Henry Illaire gibt es nur wenige Informationen. Ab 1769 kann seine Tätigkeit in Berlin nachgewiesen werden. Offenbar genoss er ein erhebliches Ansehen, da er zu der 1770 von der Akademie der Wissenschaften eingesetzten Kommission gehörte, die das Uhren-Warenlager der von dem Genfer Uhrmacher Abraham-Louis Huguenin bis zu dieser Zeit geführten Berliner Uhrenfabrik schätzen sollte. Sein Haus befand sich in der Königstraße direkt am Schlossplatz, wo er vermutlich 1779 nicht mehr lebte. Die Pendule Temps couché ist das bisher einzig überlieferte, von ihm signierte Werk für den Hof. Im Kunsthandel tauchte vor Jahren eine kleine Reiseuhr (um 1770) auf (Abeler, 2010). (Ian D. Fowler, Silke Kiesant)

Literatur

  • Abeler, Jürgen (2010): Meister der Uhrmacherkunst. Wuppertal, S. 265
  • Kiesant, Silke (2013): Prunkuhren am brandenburgisch-preußischen Hof im 18. Jahrhundert. Mit einem Katalog ausgewählter Uhren Friedrichs II. und Friedrich Wilhelms II. von Preußen. Petersberg, S. 335-337, Kat. 28 (dort weitere Literatur und Archivalien)
Karte
Hergestellt Hergestellt
1769
Illaire, Jean Henry
Berlin
Geistige Schöpfung Geistige Schöpfung
1677
François Girardon
Paris
Geistige Schöpfung Geistige Schöpfung
1701
André-Charles Boulle
Paris
Besessen Besessen
1784
Friedrich II. von Preußen
Potsdam
1676 1786
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

Objekt aus: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

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