Alexandrowka, Sommer 1838
Iwan oder richtiger Johann, wie es auch in seinen Papieren steht, war ein schmächtiges Kind, von eher anhänglicher und ruhiger Natur, jedenfalls nicht so ein Rabauke wie sein älterer Bruder. Wilhelmine mochte ihn, obwohl sie sich im Grunde um ihn genauso wenig kümmern konnte, wie um ihre übrigen Kinder. Mit sechs Jahren schickte ihn die Mutter auf die hiesige Garnisonschule. Durch den Wollhandel, welchen Wilhelmine in jenen Jahren zur Aufbesserung ihres kärglichen Lebensunterhalts betrieb, war sie oft gezwungen, das Haus für längere Zeit zu verlassen. Ihre anfängliche Hoffnung, daß ihre Kinder, wenn sie größer wären, zumindest einen Teil des Tages in der Schule beaufsichtigt wären und darüber hinaus noch allerlei nützliches lernten, erwies sich schon bei ihrer Ältesten als ausgesprochene Illusion. Und auch der kleine Iwan zeigte sich zu ihrem Leidwesen eher als ein gelehriger Schüler seiner Schwester und blieb, so oft es ihm beliebte, dem Unterricht fern.
Als Iwan im April 1846 das zwölfte Lebensjahr vollendete, wandte sich Wilhelmine schriftlich an den Herrn Regimentskommandeur mit der Bitte, den Kleinen doch aus der Schule zu entlassen, damit er von nun an das Zigarrenmacherhandwerk in der Fabrik des Herrn Bertko erlerne. Sie müsse täglich ihren Geschäften nachgehen und könne daher den Jungen nicht unter Aufsicht halten. Obwohl sie Iwan täglich zur Schule beordere, ginge er am Ende doch nicht hin, und da er auch in der Wirtschaft keine allzu große Hilfe sei, habe er wenigstens in der Zigarrenfabrik keine Gelegenheit, dumme Streiche zu machen. Obendrein würde er dort auch Geld verdienen. Damit er jedoch nicht wieder alles verlerne, sei es ihre Absicht, den Kleinen in die Sonntagsschule zu schicken, und die könne er sogar noch besuchen, wenn er schon konfirmiert sei. (...) Gegen diese einleuchtenden Argumente konnte sich auch der Rektor nicht verschließen, und so ging von nun ab der kleine Iwan Schischkoff nicht mehr zur Schule, sondern in die Fabrik. Hier war er mindestens ebenso geschickt wie all die anderen Kinder, die dort von früh bis spät arbeiteten. Da er noch nicht sechzehn war, beschränkte sich seine Arbeitszeit im Übrigen auf lediglich zehn Stunden am Tag und der Sonntag war sogar für ihn frei, wenn man vom mütterlicherseits verordneten Schulbesuch einmal absah.
de