Agnes Jordan, geborene Preuß (1836–1894), Tochter eines Obergerichtsanwalts in Hannover, zuerst als Lehrerin tätig, hatte sich 1859 mit Max Jordan, dem nachmaligen ersten Direktor der Nationalgalerie, verlobt und heiratete ihn 1861. Bis 1874 wohnte das Ehepaar in Leipzig und pflegte eine Vielzahl geistiger und gesellschaftlicher Beziehungen. Agnes brachte sieben Kinder zur Welt, von denen fünf früh starben. Ihr eigener Tod 1894 soll die Gesundheit ihres damals 57jährigen Mannes derart erschüttert haben, daß er bald darauf alle seine Ämter aufgeben mußte.
Max Jordan war seit seinem Romaufenthalt im Frühjahr 1861 mit dem um wenige Jahre älteren Maler Theodor Grosse befreundet. Während er als Kustos des Leipziger Museums tätig war, vollendete Grosse einen Freskenzyklus in der Loggia des Obergeschosses, zu dessen Veröffentlichung Jordan eine Einführung schrieb. Im Mai 1872 hielt er einen Vortrag über das Werk seines Freundes, dessen ›ideale‹ Richtung ihm besonders lag. »In dem Sinn für das schöne Maaß, für Anmuth und Geschlossenheit des Bildes im Raume liegt die Stärke seiner Begabung […]. Seiner hochstrebenden Phantasie stand die stilvolle Form unbedingt zur Verfügung«, schrieb er im Katalog der Nachlaßausstellung der Nationalgalerie (Ausst.-Kat., Berlin 1892, S. 4). Im Vergleich zur raffaelitischen Formelhaftigkeit von Grosses großen Kompositionen steht in dem Bildnis der Stilwille nicht der Abbildlichkeit im Wege, doch er diszipliniert die Form. Neben Erinnerungen an Renaissancebildnisse des 16. Jahrhunderts verrät das Bild den tiefen Eindruck, den der Maler von Feuerbachs Darstellungen der »Nanna« empfing, die zwischen 1860 und 1864 entstanden, also während Grosse sich in Rom aufhielt. Auch bei ihnen wird die kühle Beherrschtheit oft durch den empfindsamen Ausdruck der Hand kontrapunktisch ergänzt. Zu Feuerbachs Typenschöpfung (vgl. z. B. »Nanna im Profil nach links«, 1861, Kunsthalle Karlsruhe) hat Grosse ein zarteres und befangeneres, bürgerliches, deutsches Gegenstück geschaffen. | Claude Keisch
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