Die Beschaulichkeit bürgerlichen Lebens in festumrissenen Grenzen der häuslichen Atmosphäre, die fürsorgliche Geschäftigkeit für die Familie und Freunde, das sind Tugenden, die das Biedermeier pflegte. Nach dem Wiener Kongreß war die Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie zu einem Zentrum dieser Lebensweise geworden. Zahlreiche Künstler widmeten sich Themen des bürgerlichen Alltags, so auch Erasmus von Engert, der als vielbeschäftigter Kustos, Restaurator und Direktor an der Kaiserlichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere nur ein schmales künstlerisches Werk hinterließ. Engert zeigt in seinem »Wiener Hausgarten« eine Idylle; er gibt sie einfühlsam und ohne Sentiment. Eingerahmt vom üppigen Grün der sich am Spalier emporrankenden Weinreben, hochaufragenden Stockrosen, Sonnenblumen und anderen Gewächsen, sitzt eine junge Frau – abgeschirmt wie einst die Gottesmutter in ihrem ›hortus conclusus‹ – in einem Wiener Vorstadtgarten. Sie ist über ihre Lektüre gebeugt. Die Größe des Buches und das verzierte Schloß lassen vermuten, daß es sich um die Bibel handelt. Gleichzeitig ist die Lesende mit Stricken beschäftigt. In der Mittagsstille eines schönen Sommertages genießt sie in ihrem Sicherheit und Intimität gewährenden Garten eine Mußestunde. | Gerd-Helge Vogel
de