Die Mutter des Künstlers, Sophie Tuaillon, geborene Parod, wurde in den 1830er-Jahren geboren. Sie starb in Rom, wohin sie mit ihrem Sohn in den 1880er-Jahren übergesiedelt war, und wurde auf dem Cimitero acattolico unter einem schlichten Steinkreuz begraben. Dem Bildnis ging eine naturalistische Büste mit modisch-dekorativen Gewanddetails und verlebendigender Kopfbewegung voraus (1884; Stiftung Stadtmuseum Berlin). Das Porträt der Nationalgalerie, nunmehr zeitlos drapiert und starr frontal als Halbrelief angelegt, trägt allerdings den Charakter eines Gedächtnismals und entstand sicherlich posthum. Tuaillon unterlegte der reduzierten Komposition ein differenziertes Spiel der Marmorbehandlung. Dem sorgfältigen geglätteten Antlitz der Mutter stehen das mit groben Zahneisen gestaltete Tuch und schließlich der in der Bosse belassene Hintergrund entgegen. Die Tradition der Liegebüsten, die etwa durch Christian Daniel Rauchs Segmentbüsten vom Sarkophag der Königin Luise (1811–1815, B II 148) besonders in Berlin bekannt und populär waren, mag in Tuaillons Werk nachklingen. So bestimmt der memoriale Charakter auch die sakrale Haltung. Ungeklärt ist, für welchen Verwendungszweck das Werk entstand (vielleicht im Eigenauftrag des Künstlers). Auf Marmor scheint Tuaillon vornehmlich zur Zeit des Ersten Weltkriegs ausgewichen zu sein, als Bronze schwer verfügbar war. 1919 wurde das Porträt mit einigen weiteren Werken aus dem Nachlass des Künstlers auf der „Großen Berliner Kunstausstellung“ gezeigt und zum Kauf angeboten. Erst 1941 tauchte es in Berliner Privatbesitz wieder auf, aus dem die Nationalgalerie es 1943 erwarb; wo es sich in der Zwischenzeit befand, ist nicht bekannt. | Yvette Deseyve und Bernhard Maaz
de
