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Heimatmuseum Sindorf Geschichten, Legenden und wahre Anekdoten [1952_SB_52815]
Anekdote | Arnold Widding | Flucht nach Ägypten | 1952 (Pixabay CC BY-NC-SA)
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Anekdote | Arnold Widding | Flucht nach Ägypten | 1952

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Beschreibung

Anekdote | Arnold Widding | Flucht nach Ägypten | 1952

In Sindorf erfreute der Theaterverein Thalia alljährlich die Dorfbewohner mit der Gestaltung eines Theaterabends. Einmal in der Vorweihnachtszeit hatte der Verein die Geschichte der heiligen drei Könige und die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten einstudiert.

Die Personen und ihre Darsteller:
Kaspar - Malermeister Müller
Melchior - Frisör Neumann
Balthasar - Schuster Mohr
Maria - Bäckersfrau Platz
Josef - Bahnwärter Schnöff
Jesuskind - die Schildkrötpuppe von Schusters Töchterlein
Esel - Grauer mit Namen, Zugtier des Gemüsehändlers Kappes

Kurzum, das Theaterstück wurde an einem Samstag in der Adventzeit in der Gaststätte "Zum Kneppchen" aufgeführt. Der Saal mit der erhöhten Bühne, auf der sonst die Tanzkapelle bei Kirmes und Schützenfest spielte, war bis auf den letzten Platz besetzt. Einige mussten ganz hinten im Saal mit Stehplätzen vorlieb nehmen.

Die Akteure des Theatervereins waren in Hochform, spielten sich in einen Rausch, in dem Fantasie und Wirklichkeit miteinander verschmolzen. Das Publikum war begeistert und folgte, von stiller Wehmut erfüllt und innerlich zutiefst bewegt, dem Geschehen auf der Bühne. Nun hatte man sich in diesem Jahr als Überraschung etwas Besonders ausgedacht, gleichsam als Höhepunkt des Abends. Der Gemüsehändler hatte nämlich zur Verlebendigung der Weihnachtsgeschichte seinen Esel zur Verfügung gestellt, der nun schon seit fast zwei Stunden hinter den Kulissen geduldig auf seinen Auftritt wartete. Und jetzt endlich war es so weit. Das Publikum würde Augen machen!

Hinter den Kulissen wurde alles für den Auftritt vorbereitet, während die heiligen drei Könige zum letzten Mal über die Bühne von einer Seite zur anderen heimwärts strebten und in den Kulissen verschwanden. Bahnwärter Schnöff, als Darsteller des heiligen Josef, hatte mittlerweile Maria auf den Esel hinauf geholfen, das blaue Kleid gerichtet und Jesus, in Windeln gewickelt, hinaufgereicht. Ein Bild wie aus einem Legendenbuch.

Schon trat der heilige Josef, in eine braune Kutte gehüllt, vormals eine Pferdedecke, einen Schritt aus den Kulissen, die Zügel des Esels in der Hand, den Esel hinter sich herziehend. Schnöff, unser Josef, befahl mit unüberhörbarem Akzent des örtlichen Dialekts in der Stimme: "Komm Grauer, bring meine Frau Maria und das Jesuskind sicher nach Ägypten."

Schnöff machte noch einen Schritt nach vorne, der Kopf des Esels tauchte aus den Kulissen auf und im Publikum erscholl ein leises, staunendes "Ooh!".

Doch so sehr der heilige Josef nun aber auch an den Zügeln zog, das Grautier bewegte sich keinen Zentimeter mehr vorwärts. Der Esel schaute mit gesenktem Kopf ungerührt vor sich hin und bockte, weigerte sich zu folgen.

"Komm, Grauer, nach Ägypten", rief der heilige Josef verzweifelt. Doch das Tier rührte sich nicht vom Fleck. Da verlor Schnöff, in Gestalt des heiligen Josefs, die Geduld, ließ die Zügel los und verschwand in den Kulissen. Von dort begann er mit Zorn und Kraft den Esel von den Hinterbeinen her auf die Bühne zu schieben.

Widerstrebend tauchte der Esel nun mit Maria und dem Jesuskind auf der Bühne auf, aber nur bis zur Körperhälfte. Und jetzt ging der Esel endgültig keinen Schritt mehr weiter. Er stemmte sich mit den Vorderfüßen gegen das Geschiebe des heiligen Josef, der schließlich die Geduld verlor und alle im Saal hörten ihn aus den Kulissen zornig rufen: "Un do jehs no Äjüpte und wenn do baschs!" (baschs = krepierst). Das stand so allerdings nicht im Text!

Maria schaute betroffen vor sich hin, drückte in hilfloser Verzweiflung das Jesuskind an sich. Im Saal erst Stille, dann fröhliches Gelächter, das nicht enden wollte. Der Spielleiter befahl hastig: "Vorhang!" Hinter dem Vorhang auf der Bühne versammelten sich die verstörten und enttäuschten Mitspieler. Schnöff fühlte sich als der Schuldige für das Misslingen des als Höhepunkt gedachten Auftritts und sah aus wie ein Häufchen Elend. Im Saal wurde gelacht, doch das Gelächter ging allmählich über in brausenden, nicht enden wollenden Applaus.

"Aufstellen und Vorhang auf!", befahl der Spielleiter.

Der Vorhang öffnete sich. Tosender Applaus! Die Mitspieler verbeugten sich halb erstaunt, halb erfreut. Vorhang zu, Vorhang auf! Beim 5. Vorhang trat auf einmal der Esel mit Maria und dem Jesuskind, wie von Geisterhand geführt, vollständig aus den Kulissen. Der Saal jubelte und die Freude wollte kein Ende nehmen.

[Quelle: Wahre Tatsachen | Anekdoten, Arnold Widding]

Anm. d. Red.: Die Namen der Personen wurden zu ihrem Schutz teilweise vom Autor geändert.

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