Die schlanke Figur der Muttergottes steht auf einer Erdscholle mit sekundär verstärkter Bodenplatte, mit vorgestelltem rechten Bein, dessen Knie sich unter dem Kleidstoff abzeichnet. Über der ausgestellten linken Hüfte sitzt ihr Kind, das eigentlich unzureichend von ihrer linken Hand an seiner Hüfte gehalten wird. Seine aufrechte Haltung mit leicht nach vorn gebeugtem Haupt wird auch durch keine stabile Auflage gestützt. Die Beine des einst unbekleideten Knaben – die aufgemalte Windel entstammt einer späteren Fassung – sind überkreuzt, sodass die Sohle des rechten Fußes sichtbar wird. Der linke Fuß ist wie die rechte Hand Marias, die ihn hält, erneuert worden. Ursprünglich könnte Maria mit der Rechten einen Apfel gehalten haben, wie häufig um 1400. Aber auch das Halten eines Fußes des Kindes ist in dieser Zeit nicht ungewöhnlich und hier aufgrund des auffallend lockeren Griffs der Linken um die Hüften durchaus logisch. Ansonsten fehlen Interaktionen zwischen Mutter und Kind. Dieses wird von Maria fast frontal präsentiert und dabei relativ weit in die Mitte gerückt, sodass ihr Haupt – gerade im Vergleich zu dem viel zu großen Kopf Jesu – deutlich in den Hintergrund tritt und sie somit auch nicht den direkten Blickkontakt zu ihm suchen kann, wie häufiger bei Madonnen mit weit zur Seite gehaltenen Kindern. Allenfalls ihre Kopfneigung und der ernste Blick können als intime Gesten verstanden werden, während sich die Wahrnehmung des Knaben eindeutig nach vorn, zu einem dort stehenden Betrachter orientiert. Auch seine Hände, die einen (vielleicht nicht originalen) Apfel halten, zeigen keinerlei Bezug zur Mutter. Das beherrschende Motiv bei diesem leicht auf Untersicht gearbeiteten Bildwerk ist somit die Darbietung des Kindes an einen vor ihm knienden Gläubigen durch Maria. Diesen Charakter betonte auch die vielfach übermalte Gewandung der Muttergottes, die als Hintergrund des nackten Kindes fungiert. Die Figur hat zweifellos künstlerische Schwächen. Besonders in der Gestaltung der Gesichter offenbaren sich die Grenzen des Bildschnitzers, dem weder filigrane Durchbildungen der Details noch anatomisch korrekte Wiedergaben einzelner Partien recht gelangen.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen und im Alpenraum 1380 bis 1440. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2019)
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