Alexandrowka Nr. 7, 26. September 1856
Etwas weiter entfernt, etwa auf der Hälfte zwischen seinem eigenen Wohnhaus und der Brandstätte, hat sich in sicherem Abstand zum Funkenflug und dem ständig seine Richtung ändernden Qualm, der Aufseher Riege postiert. Der Feldwebel erscheint vorschriftsmäßig in seiner akkurat sitzenden Uniform, mit der Schirmmütze auf dem Kopf und der linken Hand am Säbel. Seine Rechte ist energisch in die Seite gestemmt. Gelegentlich wippt er nervös auf seinen Absätzen, winkt dann mit dem rechten Zeigefinger einen der Brandhelfer zu sich und läßt sich von ihm Bericht erstatten. Dazu entnimmt er seiner Rocktasche ein Notizbüchlein, befeuchtet den Bleistift an seiner Zunge, schiebt mit dem Zeigefinger den Kneifer auf der Nase zurecht und vermerkt das eben Berichtete in seiner feinen, gekräuselten Handschrift. Etwa, daß sich Wachmann Schwenke nun endlich gemeldet habe und offensichtlich kein Opfer des Feuers wurde, oder daß der Dachstuhl nun gänzlich in Flammen stehe und wohl nicht mehr zu retten sei. Wenn der Aufseher zwischendurch einmal seinen Kopf hebt und in die nordöstliche Richtung blickt, erglüht auf den Gläsern seines Kneifers der Widerschein des Feuers.
Wilhemine Schischkoff lehnt sich an den Zaun. Ihr Antlitz ist gleichfalls grell beleuchtet von der Lohe, welche das Haus durchrast und verzehrt. Gerade ist ein großes Stück vom Dach krachend ins Innere gesunken, Wände und Decken mit sich reißend, eine Stichflamme emporjagend. Die Funken stieben aus den Erdgeschoßfenstern und die Helfer weichen entsetzt zurück. Auch Wilhelmine hebt schützend ihre Linke vor das Gesicht und wendet sich ab. Dabei gewahrt sie in einiger Entfernung die Grigorieff, die sichtlich aufgebracht in ihre Richtung eilt, ihren verschreckten Vierjährigen hinter sich her zerrend. Louises Rechte umkrampft den Griff einer Tasche. Darin das Wenige was sie retten konnte: Einige Papiere, etwas Geld, ein altes Gesangbuch. Auf Höhe der Alten bleibt sie stehen, so daß sich ihre Blicke begegnen. Wilhelmine will der Jüngeren etwas sagen. Sagen, daß es ihr leid tut und sie nichts kann für dieses Unglück. Ein Unglück, das sie doch ebenso betrifft! Sie versucht die Worte zu fassen, doch ein Blick in die funkelnden Augen der anderen schließt ihr den Mund.
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