Trotz etlicher verlorener und durch Blindstücke ersetzter Teile ist die Darstellung auf dem Glasgemälde eindeutig als die versuchte Steinigung Christi zu identifizieren. Nachdem Christus in einem Streitgespräch mit den Juden im Tempel seine göttliche Natur bezeugt und schließlich erklärt hatte, er habe existiert ehe es den Stammvater Abraham gab, „Da hoben sie Steine auf, um sie auf ihn zu werfen. Jesus aber verbarg sich und verließ den Tempel.“ (Joh 8,59 EU). Christus erscheint in der rechten Bildhälfte der Rundscheibe beim Heraustreten aus dem Tempelgebäude. Mit beredtem Gestus wendet er sich zurück zu einer Gruppe von Männern hinter ihm. Diese sind durch den Pileus cornutus („Judenhut“) und eine Inschrift am Gewandsaum der vorderen Rückenfigur eindeutig als Juden charakterisiert. Zwei der vier erhaltenen Figuren halten Steine in Händen, zwei weitere Steine liegen auf dem ornamental gefliesten Boden.
Die Rundscheibe stammt aus einem insgesamt neun Szenen umfassenden Zyklus von Darstellungen aus dem Leben Jesu, der wohl von dem Straßburger Glasmaler Peter Hemmel zwischen 1475 und 1480 für die südlichen Oberfenster im großen Ratssaal des Ulmer Rathauses geschaffen wurde. Nach dem Ausbau um Ursprungsort befanden sie sich seit 1805 im Rittersaal des Schlosses Erbach im Odenwald. 1927 erwarben die Staatlichen Museen zu Berlin die acht jetzt im Kunstgewerbemuseum bewahrten Scheiben, eine weitere gelangte in das Hessische Landesmuseum Darmstadt.
Die Auswahl der neun Szenen aus dem Leben Jesu für den Zyklus im Ulmer Rathaussaal ist durchaus ungewöhnlich. Für die drei Fenster der Südseite wurden drei Themenkreise mit je drei Darstellungen ausgeführt: die Menschwerdung des Gottessohnes (Verkündigung an Maria, Inv. Nr. AE 561; Geburt Christi, Inv. Nr. AE 562; Versuchung Christi, HLM Darmstadt), seine karitativen Wunder (Gespräch mit dem Kanaanäischen Weib, Inv. Nr. AE 564; Heilung des stummen Besessenen, Inv. Nr. AE 563; Speisung der Fünftausend, Inv. Nr. AE 566) und die Bezeugung seiner Göttlichkeit (Versuchte Steinigung, Inv. Nr. AE 565; Einzug in Jerusalem, Inv. Nr. 567; Auferstehung, Inv. Nr. 568). LL
CVMA 98702
Entstehungsort stilistisch: Straßburg
Historischer Standort: Ulm, großer Ratssaal des Rathauses (bis 1803)
Historischer Standort: Erbach, Rittersaal des Schlosses (1805 bis vor 1927)
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