Schon 36 Jahre alt, unternahm Menzel die erste der großen Reisen, die er später fast jährlich, mit unterschiedlichem Itinerar, wiederholen sollte. Im Sommer 1852, nach Vollendung des Werkes »Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci« (1850–1852, Nationalgalerie, Inv.-Nr. A I 206), besuchte er zehn Wochen lang mit seiner Schwester Emilie die Architekturen und Museen von Bamberg, Nürnberg, München, Salzburg und Prag. Daß ihn in Prag das jüdische Viertel besonders anzog – im folgenden Jahr malte er ein Erinnerungsbild der Altneu-Synagoge (Wallraf-Richartz-Museum, Köln) – ist erklärlich; denn das Bemühen um jüdische ›Nationalphysiognomie‹ in seiner Komposition »Christus als Knabe unter den Schriftgelehrten« (1851, Hamburger Kunsthalle) beschäftigte ihn nach wie vor und sollte noch lange Kontroversen nähren. Auf dem alten jüdischen Friedhof drängen sich heute noch eng bei eng zwischen verdorrten, gekrümmten Bäumen die beschädigten, kippenden, in das geböschte Gelände einsinkenden Steine – exemplarische Zeugen der Vergänglichkeit, vor denen sich Menzel wohl des in der Dresdner Galerie gesehenen »Judenfriedhofs« von Ruisdael (Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden) erinnert haben wird, vielleicht gar an Goethes Worte, die Grabmale auf diesem Bild deuteten »in ihrem zerstörten Zustande auf ein Mehr-als-Vergangenes: sie sind Grabmäler von sich selbst« (Goethes Kunstschriften, Bd. 2, Leipzig 1912, S. 407). Wie bei Ruisdael – und anders als bei Friedrich oder Lessing – ist in Menzels figurenloser Komposition kein expliziter Symbolgehalt gemeint, nur die elementare Anmutung des Gegenstandes und ebenso des malerischen Ausdrucks, der auf das Vorläufige, Ungewisse und, mit Goethe gesagt, »Mehr-als-Vergangene« (ebd., S. 407), auf das Ruinöse zielt. Bündig und kontrastreich hat ein flacher Pinsel die kubischen Formen der Grabsteine so modelliert, daß sie auch als wildwüchsige Felsen gedeutet werden könnten. Stellenweise erkennt man, wie die harten Pinselborsten in die Farbe eingestoßen worden sind. Im Hintergrund, wo die Steine von halb erstorbenen Bäumen überwachsen sind, spreizen sich expressive dunkle Kurven und gehen über in Zonen, deren braune Farbe beschabt und zerkratzt ist; diesem ›Informel‹ technisch und der Stimmung nach am verwandtesten ist das Bild »Waldesnacht« (1851, Kunsthaus Zürich). | Claude Keisch
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