Das an allen Seiten abgebrochene Fragment eines hölzernen, leicht gewölbten Brettes von einem Sargdeckel enthält nur noch eine Kolumne eingravierter, linksläufiger Hieroglyphen mit Kolumnenbegrenzung. Der Text ist sehr sauber graviert. Alle Vertiefungen waren mit blauer Paste ausgelegt, die heute noch partiell erhalten ist. Links und rechts der Kolumne ist die Oberfläche unbearbeitet, so dass jene als mittig auf dem Deckel befindlich angesehen werden kann. Die Inschrift lautet: „N.N., gerecht]fertigt, Sohn des Herrn der Beiden Länder Osorkon Geliebt-von-Amun [///].“
Der Sarg gehörte also dem männlichen Nachkommen eines Königs Osorkon. Herrscher dieses Namens stammen nur aus der Dritten Zwischenzeit ab dem Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr., einer Epoche der militärischen Besatzung Ägyptens durch libysche Stämme. Die Hauptstadt war zunächst Tanis, jedoch schwand im Laufe der Zeit die Macht der regulären Pharaonen, so dass mehr und mehr lokale Potentaten zeitgleich die Oberhoheit in den einzelnen Zentren übernahmen und sich kleine Herrschaftsbereiche schufen. Der Besitzer des Sarges war laut der Inschrift ein direkter Nachkomme eines regierenden Königs. Welcher der derzeit bekannten drei libyschen Könige mit dem Eigennamen Osorkon gemeint ist, kann nicht sicher entschieden werden.
Leider ist vom Namen oder den Titeln des Verstorbenen nichts mehr erhalten, so dass unklar bleibt, was die genaue Position dieses Mannes einst gewesen war. Dem Verstorbenen war die Notation seiner königlichen Abstammung wichtig. In der Libyerzeit wurde generell verstärkt Wert auf die Angabe der Genealogie gelegt. Nannten die Ägypter vorher meist nur den Vater, teilweise auch noch den Großvater, erweitern sich die genealogischen Angaben in der Libyerzeit massiv, sicherlich dem Einfluss der mündlich geprägten Überlieferungstradition der neuen Oberschicht aus Libyen geschuldet. Ein libyerzeitliches Grabrelief aus Memphis im Berliner Ägyptischen Museum (ÄM 23673) zeigt dabei über 60 Vorfahren des verstorbenen Priesters, die derzeit längste bekannte Genealogie aus Ägypten überhaupt.
Auf der Innenseite des Fragmentes sind noch bislang unerwähnte Reste der in rot skizzierten Darstellung einer nach links gerichteten Kobra erhalten, die sich mit aufgeblähtem Brustschild aufrichtet, aber aufgrund der Größenverhältnisse nicht zur originären Sargdekoration gehören kann. Vermutlich handelt es sich hierbei um eine spätere Verwendung als ‚Skizzenblock‛.
(Jan Moje)
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