Das Zusammenwirken von Georg Christoph Lichtenberg und Daniel Chodowiecki zeitigte Meisterwerke der satirischen Sittenschilderung, so etwa die „Natürlichen und affectirten Handlungen des Lebens“ (1778/79). Wie viele (zu) groß gedachte literarisch-bildliche Unternehmungen blieb auch der von Lichtenberg ersonnene neue „Orbis pictus“ Fragment.
Der Verleger Johann Christian Dietrich hatte Chodowiecki 1778 Lichtenbergs Idee vorgestellt: „nemlich einen Zweiten orbis picktus heraus zu geben, der sich aber gantz von den bekandten unterscheidet. Seine absicht ist auch hierin ein wenig satyrisch, er will der armuth unserer dramatischen Schriftsteller so wohl als auch der Schauspieler und Künstler dadurch zu Hülffe kommen, daß er frapante Züge so wohl solche, die nur durch Worte auszudrücken sind, als auch die die sich durch Zeichnungen darstellen lassen, aus allerley Ständen des bürgerlichesn Lebens sammeln, und herausgeben will.“ (zit. nach Engelmann 1857, S. 182). Von dem anspruchsvollen Plan gedieh lediglich ein Aufsatz Lichtenbergs in zwei Teilen im Göttingischen Magazin der Wissenschaften und Litteratur (1. Jg., 3. St. und 4. Jg., 1. St.) mit jeweils zwei Tafeln Chodowieckis, darunter als erste Illustration des zweiten Teils die hier vorliegenden „Weiblichen Bedienten“. Insgesamt 15 verschiedene Dienstboten, solche mit repräsentativer Kleidung, sowie etwa eine Amme, eine Kinderfrau, eine Wäscherin, eine Köchin, eine Magd. Ein gewisser satirischer Ton ist in anderen der vier Tafeln noch eher zu vernehmen als hier.
Der Orbis sensualium pictus (Die sichtbare Welt) des Johann Amos Comenius war das Schulbuch früherer Jahrhunderte schlechthin. Es erklärte die Welt von Gott über die Planeten, die Elemente, Tiere und Menschen bis hin zur Ethik. Zugleich war es ein Sprachlehrbuch. Lichtenbergs Zweites Orbis pictus war freilich ganz anders angelegt. Es sollte alle Typen von Menschen ihrem Äußeren nach beschreiben und deren Kenntnis befördern, hier sicherlich nicht ganz unabhängig von der Physiognomik, die Lavater Mitte des Jahrzehnts neu belebt hatte. Dabei war das Werk mit einer speziellen Zweckbestimmung für die mimetischen Künste versehen: Schriftstellern, Schauspielern und Künstlern sollte es als Typenkatalog dienen können. Ohne Zweifel wäre Chodowiecki mit seiner Beobachtungsgabe und Charakterisierungskunst der rechte Illustrator für diese Aufgabe gewesen, die dieser für die vier Tafeln zu dem Aufsatz mit Darstellungen von Komödianten sowie männlicher und weiblicher Bedienten anging. Gerade letztere seien, so Lichtenberg in seiner Beschreibung, für die Erzählung „von unglaublicher Wichtigkeit“.
Abgesehen von der Zweckbestimmung lässt die Anlage des Werks an das fotografische Projekt eines August Sander denken, „Menschen des XX. Jahrhunderts“, das bezeichnenderweise ebenfalls Torso blieb.
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