In der Hohlkehle eines horizontalen Gesimses kauert ein hybrides Geschöpf, dessen fratzen¬haftes Gesicht anthropomorphe Züge auf¬weist. Es besitzt einen raubkatzenartigen Leib und Krallen, sein buschiger Schwanz ist zwi¬schen die Hinterläufe gesteckt und windet sich entlang des Bauchs bis unter die Vorder¬tatzen. Der Oberkörper wird von einem Textil bedeckt, das eine Öffnung für das Gesicht lässt und ansonsten entfernt an eine Mönchs¬kutte mit Kapuze erinnert. Diese scheint nach oben gerutscht zu sein und so erst den mons¬trösen Hinterleib entblößt zu haben. Damit entsteht der Eindruck, als habe sich soeben die Metamorphose eines Mönchs in ein Un¬tier vollzogen, das sozusagen als Reminiszenz an die menschliche Natur ein Kleidungsstück behalten hat – ein besonders in der Buchma¬lerei geläufiges Motiv. Der Kopf mit Glatze er¬innert zwar an einen Menschen, ist aber durch einen extrem breiten Mund mit weit vorstehender Oberlippe, eine breite Nase und wulstige Augenbrauen gleichwohl monströs. Das Fabelwesen blickt herausfordernd, nicht direkt drohend, nach unten zum dort stehen¬den Betrachter.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen und im Alpenraum 1380 bis 1440. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2019)
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