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Gemäldegalerie Malerei Tafelmalerei [153]
https://id.smb.museum/digital-asset/5176911 (Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders (CC BY-NC-SA)
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Bildnis eines Mannes mit Zirkel und Papierrolle (Portrait of an man with circle and paper roll)

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Beschreibung

"Dieses nicht sehr bekannte Gemälde war 1953 im Palazzo Ducale in Venedig ausgestellt und hat darüber hinaus außer Katalog an der Berliner Ausstellung über Architekturmodelle der Renaissance (1995-1996) teilgenommen. 1638 wurde es unter dem Namen Tizians und merkwürdigerweise als "Halbfigurenbildnis" anstatt als Dreiviertilelfigur bezeichnet, im Inventar der Sammlung des Marchese Vincenzo Giustiniani registriert (Salerno 1960, II, Nr. 18). Das Gemälde ist etwas kleiner als in den Angaben des Inventarschreibers vermerkt (5 x 4 palmi entsprechen streng genommen 111,5 x 89,2 cm). Bis heute wird mit wechselndem Erfolg die Identifizierung des bärtigen Mannes mit dem Architekten Sebastiano Serlio aufrechterhalten. Diese Einordnung ist immer noch ungewiß, wenn auch nicht weniger gangbar als andere Identifizierungen (ungewöhnlich ist die Zurückhaltung von Sabine Frommel zu diesem Thema, FROMMEL 1998). Schon in Epigramm CLXX der Pinacotheca von Silos (SILOS [1673] 1979, S. 92) wird, auch wenn die Zuschreibung an Tizian verziehen werden muß, ohne Zögern an der Identität des Dargestellten festgehalten: "Riconosci il volto? Il famoso Serlio doveva vivere per la mano singolare del grande Tiziano. Questi descrisse la straordinaria mole delle sue opere, le ardue costruzioni, le fortezze, i teatri, i fori. Pubblicò inoltre elaborate memorie d`arte; insegnò le regole in modo che il suo genio potesse continuare ad opera- re anche dopo la morte. Se divulga le sue opere eseguite con assidua cura e le dà alla luce del mondo, non tutto Serlio ora è morto. Ma se tu, Tiziano, ritrai il suo volto Serlio vive ora tutto intero nel dipinto". Anfang des 19. Jahrhunderts vertraten jedoch schon Delaroche und Landon eine andere, nur wenig anspruchsvollere Autorschaft, diejenige Tintorettos. Was allerdings mehr zählt, ist die unterschiedliche Identifikation der Hauptfigur des Bildes, die sich jetzt in Jacopo Sansovino verwandelt hat. Diese Sichtweise wird in den Museumskatalogen bis zur Ausgabe von 1826 beibehalten und von der nachfolgenden Forschung übernommen, vor allem von Seidenberg (SEIDENBERG 1958, S. 190-192) und anschließend von Prinz (PRINZ 1966, S. 151). Letzerer verglich aus diesem Grund das Berliner Gemälde mit dem Kupferstich, der in Vasaris zweiter Ausgabe der Vite enthalten ist. Es war jedoch nicht zu erwarten, daß die "Unentschlüsselbarkeit" des Giustiniani-Portraits die Beurteilung des Werkes so weit in die Irre führen wurde (WAAGEN 1830 und folgenden Ausgaben). Dies ist unerklärlich, wenn man nicht an die dazwischenliegende Unlesbarkeit der Signatur dnkt. Der fehlenden Erkenntnis über die Urheberschaft helfen Crowe und Cavalcaselle dreißig Jahre später endgültig ab (CROWE-CAVALCASELLE [1871] 1912, S. 105). Mit ihnen sehen (auch dank einer unabhängigen Korrektur von Seiten Waagens) die folgenden Ausgaben des Berliner Katalogs, ausgehend von jener von 1878, in denen die Signatur des Künstlers jedoch nur unvollständig entziffert wurde, "L.L." Vollständig wurde die Signatur erst in der Ausgabe von 1904 entschlüsselt. Die überlegene Qualität des Gemäldes wurde hingegen selbst ohne die richtige Zuschreibung stets bemerkt, so daß es auch Landon in den höchsten Tönen lobte. ("Ce portrait peut etre comparé aux plus beaux du Titien; il ne le cede a aucun ni pour la beauté de la touche ni pour la verité du coloris. C`est un morceau du premier order"). Die Annahme, daß die finstere Figur mit dem langen Bart (die wie ein romantischer Fährmann avant la lettre aussieht) Serlio sei, gründet sich natürlich auf der Freundschaft zwischen ihm und Lotto, der als Zeuge auftrat, als der Architekt am 1. April 1528 sein Testament machte. Jedoch hatte schon Pignatti (PIGNATTI 1953, S. 146) darauf hingewiesen, daß ein anderer möglicher, wenn nicht maßgeblicher Kandidat für das Giustiniani-Gemälde der aus Ancona stammende (in Venedig lebende) Giovanni (Zanetto) del Coro sein könnte. Der mysteriöse Architekt war mit Lotto befreundet und hat ihm in seinen späten Jahren in den Marken (1542-1549) viele Aufträge vermittelt. Hoch geschätzt wurde der Berliner "Sansovino" trotz der Sparsamkeit der eingesetzten Mittel und dem nicht guten Erhaltungszustand von Crowe und Cavalcaselle. Sie äußerten "This picture [...] is much rubbed down" (CROWE-CAVALCASELLE [1871] 1912, Bd. III, S. 426 mit Anm. 4) und beschrieben das Gemälde Lottos als, "a knee-piece in which a liquid under preparation of umber is merely touched up to a finish by broad and coarse, but masterly strokes". In dem erwähnten Text von Seidenberg (SEIDENBERG 1958) wird mit teilweise akzeptablen Argumenten die Hypothese vertreten, daß Sansovino auf Lottos Gemälde dargestellt sei. Nicht wegen der Ergebenheit des Venezianers gegenüber dem Architekten und Bildhauer (oder aber der gegenseitigen Freundschaft), sondern mehr wegen der Fakten, die über Serlio bekannt sind und auch wegen des Altersproblems, das sich aus der späten Datierung in die vierziger Jahre ergibt, die die Autorin für das großartige Berliner Bild vornimmt (Serlio wurde auch von BANTI-BOSCHETTO 1953, S. 79, vorgeschlagen, die das Bildnis jedoch in die späten 20er Jahre datieren, da Lotto 1528 Zeuge bei Serlios Testamentsverlesung war - eine wirklich zu frühe Datierung - und kürzlich auch von PUPPI 1981, S. 397). Serlio wurde 1475 geboren und verließ Italien 1541, ein guter Zeitpunkt für die angenommene Datierung des Gemäldes, jedoch zu spät für das Alter, das der dargestellte Architekt verkörpert. Die Rechnung geht - um mit Seidenberg zu sprechen - in Hinblick auf Sansovino perfekt auf, denn dieser 1486 geborene Künstler füllt das Format dieses kräftigen Mitte funfzigjährigen Bärtigen gut aus. Der Schwachpunkt dieser Rekonstruktion scheint, wenn überhaupt, im physiognomischen Vergleich mit dem späten Bildnis Sansovinos von Tintoretto in den Uffizien zu liegen (treffender ist gegebenenfalls der von Prinz angeführte Bezug zum Kupferstich in Vasaris Vite), allerdings ist der Dargestellte etwa 25 Jahre älter. Es ist merkwürdig, daß sich die Forschung im letzten Viertel des Jahrhunderts nicht mit einem Meisterwerk von derartig gewinnender Kraft auseinander gesetzt, ja es eigentlich ignoriert hat, auch wenn es undankbar erscheint, die fast schon überzähligen qualitätsvollen Werke, die uns ein Genie wie Lotto hinterlassen hat, zu zählen. (Er war nicht nur ein Genie seiner Epoche gemäß seinen Vorgriffen auf das 17. Jahrhundert, wenn auch nicht unbedingt in der Art eines Rembrandt, vgl. Seidenberg). Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hagelte es Monographien und Ausstellungen über den Künstler aus der Lagunenstadt. Jedoch war keine von ihnen mit einem ausführlichen Katalog ausgestattet, der der Nachwelt als Grundlage und gleichzeitig als eine Sammlung vorheriger Meinungen dienen könnte. So kam es, daß in der trockenenen Bildunterschrift, die Jacques Bonnet (BONNET 1996) in eine Liste einfügt, die einen sicher nicht einfach zu redigierenden Katalog ersetzt, das Berliner Werk nicht nur als signiert, was allerdings mit folgender Feststellung gleich widerrufen wird "Env[iron]. 1535". Auch wenn es sehr einfach ist, eine Reihe von engen und überzeugenden Vergleichen zu anderen "Stars" von Lottos Kinematographie zu ziehen, zwar nur im begrenzten Feld der Bildnismalerei (ich glaube nicht, daß der Hl. Johannes d. Täufer der Tolentini eine Ausnahme macht), wird man nicht umhin können, den zeitlichen Rahmen für das Werk aus der Giustiniani-Sammlung zwischen Mitte der dreißiger und Mitte der vierziger Jahre anzusiedeln. Die Grenzen sind zwischen dem als Mercurio Bua vermuteten Bildnis eines Mannes der Galleria Borghese und dem Fra Gregorio Belo im Metropolitan Museum von 1546 zu ziehen. Darüber hinaus dürften sich stilistische Gemeinsamkeiten in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts aus dem Vergleich mit folgendem Werk ergeben dem Bildnis eines Unbekannten in der römischen Gallerias Doria Pamphilj, das ebenfalls im Vordergrund auf der dargestellten Figur signiert ist und ein dramatisches Helldunkel aufweist, das auch bei Tizian zu finden ist. Die Meinung Pallucchinis soll nicht verschwiegen werden. Er ordnete das ehemalige Giustiniani-Bild um 1530 ein, ebenfalls im Vergleich mit dem Bildnis eines Edelmannes der Galleria Borghese, das heute jedoch eher in die Mitte der 30er Jahre datiert wird. Auch wenn der Berliner "Architekt" so leicht in diese Schar von späten Exemplaren der Bildniskult Lottos eingeordnet wurde, muß er vielleicht dennoch etwas gesondert davon betrachtet werden. Nicht so sehr wegen seiner knappen, aber sehr geschickten Ausführung oder seiner individuellen Anschauligkeit, sondern vielmehr wegen der Art und Weise, wie er sich von dem braunen Hintergrund abhebt, der von einer Art vor-caravaggesker Diagonale durchschnitten und von rechts beleuchtet wird. In diesem Sinne muß die Schrecklichkeit des Gregorio Belo nicht mehr bemüht werden, der ebenfalls ein extremes Beispiel des inzwischen in den Marken arbeitenden Maler ist. Das Gleiche gilt für den Armbrustschützen der Pinacoteca Capitolina, der unserer Figur stark ähnelt und mit seiner Epoche im Einklang steht. Letzteres trifft hingegen für den hier Dargestellten nicht zu. Man sollte andere Interpretationsebenen suchen, die mehr Raum bieten und sich etwas in die finstere Psychologie dieses vielleicht sogar gutmütigen Blaubart versetzen und in die maßvolle Gestik, die ihm sein Schöpfer verliehen hat. Das Weisen der Figur auf die Papierrolle, auf der Lotto signiert hat, reicht sicher nicht für die Deutung als Selbstbildnis aus, was dennoch vorgeschlagen wurde (GILBERT 1968, S. 281). Ich würde auch nicht behaupten, daß die sich davon nur geringfügig unterscheidende Argumentation Schweikharts (SCHWEIKHART 1993, S. 21), daß nämlich der Zirkel nicht unbedingt nur für den Architekten, sondern für den Künstler in weiteren Sinn steht (Gilbert sieht in diesem Instrument ein Attribut des Zeichners und folglich wäre die Papierrolle mit dem autographischen Anspruch des Künstlers eine Zeichnung Lottos!), überzeugend genug ist, um in dem Berliner Bildnis das Antlitz Lottos zu erkennen. Warum sollte es dann nicht ein Astronom oder ein Geograph sein? Somit bleiben die von Pope Hennessy gestellten Fragen noch zu klären "why does he look at us with such intensity? What is the drama behind the gesture of his right hand? (POPE HENNESSY 1966)" / Roberto Contini Matthias Winner (2005) hat mit neuen Argumenten eine Identifizierung des Berliner Gemäldes als Selbstbildnis Lottos überzeugend bewiesen. SIGNATUR / INSCHRIFT: Bez. auf der Papierrolle: L. Lotto. me fec.

Material/Technik

Leinwand

Maße

Rahmenaußenmaß: 132,5 x 109,8 cm, Rahmenaußenmaß (Höhe x Breite): 132.5 x 109.8 cm, Bildmaß: 108,5 x 86,6 cm, Bildmaß (Höhe x Breite): 108.5 x 86.6 cm

Gemäldegalerie

Objekt aus: Gemäldegalerie

Die Gemäldegalerie besitzt eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen europäischer Malerei des 13. bis zum 18. Jahrhunderts. Die Bestände umfassen...

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