Der wohl bedeutendste Florentiner Maler und Illuminator um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert wurde als Giovanni di Pietro etwa 1365 in Siena geboren, kam schon früh nach Florenz und erhielt seine Ausbildung vermutlich in der Werkstatt des Agnolo Gaddi. Überliefert ist im Jahr 1391 sein Eintritt in das Kamaldulenserkloster Santa Maria degli Angeli mit dem Mönchsnamen Lorenzo. Für das Kloster arbeitete er an der Ausstattung mehrerer Chorbücher, die 1394-1396 datiert sind. Mirella Levi d´Ancona hat das allseitig beschnittene Blatt als fol. 102 aus dem Corale 1 der Bibliotheca Laurenziana in Florenz identifiziert (briefl. Mitt. vom 17.10.1972).
In der auf poliertem Goldgrund prächtig ausgestalteten Initiale 0 ist der in strahlenbesetzter, von Seraphim umgebener Mandorla auf Wolken thronende Christus Pantokrator dargestellt. Die apokalyptischen Zeichen Alpha und Omega (Apoc. 1, 7-8) im Buch des Herrn sind merkwürdigerweise vertauscht. Den blaugrauen, mit feinem Ornament verzierten Buchstabenkörper umschließen lappige Blätter, die in Köpfen von Menschen und einem Vogel endigen; seitlich wird das Blattwerk als Randdekor weitergeführt. Die helle Farbpalette von Rose, Blau, Grün mit zarten Blüten und Karminrot entspricht dem in der Buchmalerwerkstatt von Santa Maria degii Angeli vertrauten Akkord. Für den Figurenstil, besonders für die Zeichnung des Kopfes, ist der Christus in der Abendmahlspredella vom Triptychon aus S. Gaggio in der Berliner Gemäldegalerie (Nr. 1108), einem Frühwerk des Lorenzo, vergleichbar.
Text: Frauke Steenbock in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 55f., Kat. I.10 (mit weiterer Literatur)
Entstehungsort stilistisch: Florenz
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