Alle Mitglieder der Künstlervereinigung »Brücke«, die im Juni 1905 in Dresden gegründet wird und im Herbst 1911 nach Berlin übersiedelt, haben eine intensive Neigung zur Druckgraphik, man denke nur an Heckel und Schmidt-Rottluff, aber es ist Kirchner, der die Maxime formuliert; »Nirgends lernt man einen Künstler besser kennen als in seiner Graphik.« (Kirchner 1921, S. 190). Sie drucken ihre Holzschnitte, Radierungen und Lithographien zumeist selbst und in nur wenigen Exemplaren.
Kirchners Badeszene von 1913 ist Ausdruck der von ihnen erstrebten Einheit von Mensch und Natur, die auch in ihren Lebensgewohnheiten deutlichen Niederschlag findet. Das Leben in der Stadt geben sie immer wieder auf zugunsten von manches Mal mehrere Monate währenden Aufenthalten an den Moritzburger Seen in der Nähe Dresdens, an der Nord-und der Ostsee.
Das Blatt entstammt der Phase des reifen »Brücke-Stils«, in der Kirchners erste Übungen in der Druckgraphik, die noch dem Linienfluß des Jugendstils verwandt waren, längst überwunden sind. Jetzt werden die Körperpartien der Badenden mit prägnanten Formkürzeln bündig definiert, und das üppige, über der Szene prangende Laubwerk, das an exotische Baumkronen erinnert und wie ein Sinnbild lustvollen Daseins erscheint, wird zu einer Großform zusammengefaßt.
In der Bewegung der Figuren schlägt Kirchner jedoch auch hier und dort einen nervösen Ton an, der in mancher splittrigen Zone sein gestalterisches Äquivalent findet. Es deutet sich schon an, daß die Einheit des Menschen mit der Natur eine nicht erreichbare Utopie ist, am klarsten mit der im Vordergrund am Boden hokkenden Gestalt. Es ist Kirchner selbst, der - als einziger bekleidet - an dem Strandtreiben keinen Anteil hat. Und noch ein zweites Motiv offenbart, daß er mehr zeigen will als unbeschwertes Sommerglück. In der Krümmung der Horizontlinie macht er die Kugelgestalt der Erde bewußt, weist über das Alltägliche hinaus.
Text: Alexander Dückers in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 442 f., Kat. VIII.7 (mit weiterer Literatur)
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