Ein frühes Beispiel der Zeichenkunst, um 1420/25 entstanden, hervorgegangen aus dem Bereich der Dombauhütten. Es handelt sich um die Reinzeichnung eines architektonischen Ensembles, das frommes Bildwerk und Gebrauchsgerät nebeneinanderstellt. Auf der linken Seite sehen wir die Marien am Grabe, die Muttergottes durch das blaue Gewand hervorgehoben. Zu Füßen der Frauen liegt der Leichnam Christi, von Engeln gehalten. An der Vorderseite des Sarkophages, Reliefschmuck ähnlich, die Wächter am Grabe. Diese Figurengruppe wird von einem Spitzbogen überfangen, den wiederum ein steiler Kielbogen übersteigt, der in einer Kreuzblume endet. Zu Seiten des Kielbogens ein rechteckiges Wandfeld, gegliedert in drei Spitzbogenfelder, die von den Figuren eines hl. Martin und eines hl. Bischofs geschmückt werden. Die Konsolen beider Figuren gelöscht - Korrekturen des Zeichners oder späterer Vandalismus? Rechts angebaut an dieses »Hl. Grab«, wie es in vielen mittelalterlichen Kirchen begegnet, sehen wir ein Sakramentshaus: eine auch geistig sinnvolle Zusammenstellung, da der tote Leib Christi neben dem Schrein gezeigt wird, in dem sein unsterbliches Fleisch bewahrt wird, das an die Gemeinde ausgeteilt wird. Die Zeichnung zeigt viele geritzte Konstruktionslinien und Zirkelschläge von großer Präzision, ebenso sind die heiligen Figuren von hervorragender Qualität. Die freihändig eingesetzten Formen des kleineren Maßwerks sind demgegenüber von erstaunlicher Unregelmäßigkeit. Als Zeichner des Blattes ist der Frankfurter Dombaumeister Madern Gerthner überzeugend vertreten worden. Am Südportal des Frankfurter Domturms und an der Memorienpforte des Mainzer Doms finden sich vergleichbare Formen. Die Memorienpforte hat sogar ähnliche Figuren (hl. Martin!). Das Blatt könnte als Schaubild für den Auftraggeber gedient haben, ebenso aber auch der Werkstatt als Vorlage.
Text: Hans Mielke in: Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, hg. von Alexander Dückers, 2. Auflage, Berlin 1994, S. 91f., Kat. III.2 (mit weiterer Literatur)
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