In voller Rüstung, das jugendliche Haupt mit den reichen, vergoldeten Locken jedoch heroisch unbehelmt, steht der hl. Georg in einer fast tänzerisch anmutenden Schrittstellung über dem bereits bezwungenen Drachen. Die zweifach gebrochene Lanze hat den Hals des Untiers durchbohrt. Mit dem Krummschwert holt der Heilige zum letzten Streich aus. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der das Ungeheuer überwunden wird, darf wohl aus Ausdruck jener göttlichen Kraft verstanden werden, mittels derer der Heilige die Inkarnation des Bösen besiegt.
Fast erscheint die allansichtig gearbeitete Statuette wie ein preziöses Kunstkammerstück, dessen Zweckbestimmung allein in der Demonstration der außergewöhnlichen bildnerischen Fähigkeiten seines Schöpfers beruht. Tatsächlich aber war ihre unmittelbare Funktion die eines Reliquiars: In der runden Kapsel auf dem von drei „wilden Männern“ getragenen Sockel wurden einst Reliquien verwahrt. Die als umfriedeter Erdhügel gestaltete Standfläche erscheint als eine Sphäre bildlicher Fabulierfreude: Totenschädel und Gebein bedecken den Boden, ein Speerträger schleicht sich an miniaturhaft kleine Drachen an. Das besiegte Ungeheuer ist einer von dunklen Naturkräften dominierten Welt verhaftet, in der man nur durch den Beistand des Heiligen bestehen zu können glaubte.
Der hl. Georg wurde als Schutzheiliger gegen Pest, Lepra und Syphilis verehrt. So verwundert es nicht, dass unser Reliquiar in einer Nische der Kirche des Georgenhospitals in Elbing (Ostpreußen) aufgefunden wurde, wo es 1564 eingemauert worden war. Vermutlich stammt es, ebenso wie eine sehr ähnliches zweites Exemplar (Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe), aus dem Besitz der Elbinger Georgenbruderschaft. LL
Entstehungsort stilistisch: Norddeutschland (Lübeck?)
Historischer Standort: Elbing, Kirche des Georgenhospitals
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