Die Muttergottes sitzt aufrecht auf einer schlichten Thronbank, auf dem ein schmales Kissen liegt. Wie der auf der Rückseite verbliebene Holzstab, der die Aushöhlung der Marienfigur etwas oberhalb der Hüfte überbrückt, und Befestigungslöcher im oberen Bereich zeigen, dürfte die gesamte Figur ein Rückbrett besessen haben. Mit der linken Hand stützt sie den Rücken des Kindes, das in lockerer Haltung mit einem aufgeschlagenen Buch auf ihrem Oberschenkel sitzt.
Über die herkömmliche Bedeutung der thronenden Maria, die selbst einen Sitz für ihren Sohn darstellt, als Thron der Weisheit (Sedes Sapientiae) und als gekrönte Himmelskönigin mit Zepter hinaus ist das zeittypische, doch auch schon früher vorkommende Lächeln als Freude über die Geburt des Sohnes bemerkenswert. Besonders interessant ist jedoch das lesende oder im Lesen innehaltende Kind. Dieses seltene, um 1400 zu einer immer genrehafteren Darstellung des lernenden Knaben führende Motiv scheint, wie die erhaltenen Beispiele nahe legen, erst im frühen 14. Jahrhundert verbreitet gewesen zu sein.
Die im Hochmittelalter übliche, seit dem 12. Jahrhundert nachweisbare Aufstellung von hölzernen Marienbildern war die auf einem der Muttergottes geweihten Altar. Dort konnte die Marienfigur in einem Schrein verschlossen oder der alltägliche Blick auf die Statue durch einem Vorhang verhindert werden.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)
Entstehungsort stilistisch: Sachsen
Historischer Standort: Augustiner-Chorherrenstiftskirche St. Moritz, Naumburg
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