Triumphkreuze gehörten im frühen 13. Jahrhundert bereits zur Standardausstattung abendländischer Kirchen. Zu diesem Zeitpunkt war es auch üblich, seitlich des Gekreuzigten Assistenzfiguren von Maria und Johannes sowie vereinzelt auch weitere Heilige oder Engel aufzustellen, die jedoch weniger zahlreich überkommen sind. Triumphkreuze und Triumphkreuzgruppen befanden sich – seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert zunehmend bezeugt – an der Schwelle zwischen Chor und Laienraum, über dem Lettner, mit diesem verbunden oder auf einem Triumphbalken darüber.
Die Rekonstruktion der ehemaligen Aufstellung der Naumburger Gruppe wird dadurch erschwert, dass die romanische Moritzkirche, für die sie wahrscheinlich geschaffen wurde, einem spätgotischen Umbau weichen musste. Zur Kirche des 1119 von Bischof Dietrich I. gestifteten Augustiner-Chorherrenstifts, sowohl zur älteren als auch zur spätgotischen, fehlen grundlegende Bauuntersuchungen. Überlegungen zum Kontext in der Moritzkirche können sich derzeit nur auf die spärlichen historischen Daten und das mit dem bloßen Auge Sichtbare stützen. Vorläufig müssen wir also davon ausgehen, dass die Triumphkreuzgruppe in geringer Höhe unter dem schmalen Chorbogen der romanischen Stiftskirche St. Moritz platziert war. Es ist durchaus vorstellbar, dass die starke seitliche Wendung Marias auf den Verlauf des Triumphbogens zumindest Rücksicht nahm. Angesichts dessen muss die oft betonte Ausdruckskraft des Gekreuzigten enorm gewesen sein. Die körperliche Präsenz des übergroßen Heilands und die sichtbaren Zeichen des Leids machen ihn zu einem wichtigen Vorläufer des fast völlig auf die Höhe des Betrachters gebrachten Kruzifixes am Westlettner des Naumburger Doms. Die größere Nähe, die dem Betrachter durch die szenische Ausbildung und Betonung der emotionalen Aspekte ermöglicht wird, entspricht einer Tendenz der Zeit, die sich auch in der überlieferten Verehrungspraxis und theologischen Texten spiegelt.
Beide Figuren wurden 1899 auf dem Dachboden der ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftskirche St. Moritz in Naumburg gefunden. Infolge des Umstands, dass sie zu einem größeren Fundus abgestellter älterer Skulpturen (mindestens zwölf) gehörten, der stilistischen Differenzen und besonders der enormen Größe des Kruzifixes ist mehrfach an der Provenienz aus der Moritzkirche oder gar ihrer Zusammengehörigkeit zu einer Gruppe gezweifelt worden. Die jüngsten technologischen Untersuchungen bestätigen hingegen die Entstehung in einer Werkstatt. Folgenreich war die Auslagerung der beiden Figuren an unterschiedlichen Orten während des Zweiten Weltkriegs. Die Muttergottes wurde im Frühjahr 1945 in das Salzbergwerk Kaiseroda gebracht und gelangte von dort aus in den „Central Art Collecting Point“ nach Wiesbaden, bevor sie 1956 an die Museen nach West-Berlin zurückgegeben wurde. Der Kruzifixus hingegen war in den Kellerräumen des Deutschen Museums im sowjetisch besetzten Stadtteil verblieben. Beide Figuren waren also für zweieinhalb Jahrzehnte im Kaiser-Friedrich-Museum (1914–30) sowie im Deutschen Museum (bis 1939) gemeinsam zu sehen und sind erst seit der Wiedereröffnung des Bode-Museums 2006 wieder vereint ausgestellt.
(Auszug aus: Tobias Kunz, Bildwerke nördlich der Alpen. 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg, Michael Imhof Verlag 2014)
Entstehungsort stilistisch: Obersachsen
Historischer Standort: Naumburg (Moritzkirche)
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