Zur Vorbereitung des Nachtbildes »Friedrich und die Seinen bei Hochkirch« (1856, Nationalgalerie, verschollen), so ist durch Robert Warthmüller überliefert, habe Menzel »sich in seinem Atelier einen dunklen Verschlag gebaut, worin er Kerzen anzünde, um durch ein kleines Loch sodann den Effekt, den Lokalton, zu studieren« (zit. nach: K. Scheffler, Adolph Menzel, Berlin 1922, S. 174). Ebenso beleuchtete er von unten die an der Wand hängenden Gipsabgüsse, um, so Albert Hertel, »meine Hand und meinen großen, breiten Pinsel einzuexerzieren an großer pastoser Malerei, und an der eigentümlichen Beleuchtung von den Flammen ringsum« (zit. nach: Exzellenz lassen bitten, Leipzig 1992, S. 91). Diese Gipse, die er wie viele seiner Kollegen zu Rate zog, wenn das lebende Modell fehlte, und deren Zahl noch wachsen sollte, kennen wir auch durch spätere Fotografien. Darunter waren aber, im Unterschied zur üblichen Praxis, »nur wenige und bewährte Formen antiker Plastik […]; den meisten Platz nehmen die über die Natur gegossenen Formen und namentlich die verschiedenartigsten Totenmasken ein« (F. Eggers, Künstler und Werkstätten, in: Deutsches Kunstblatt, Bd. 5, 1854, S. 2). Auf einer späten Aufnahme (von Zander & Labisch) erkennt man ebenjene Muskelmann-Hand, die auf unserem Gemälde neben dem Totenschädel hängt; demnach begleitete sie Menzel ein Leben lang.
Um dieselbe Zeit schrieb Edgar Allan Poe seine makabren Erzählungen. Dem dort beschriebenen Blick auf das todbringende Pendel ähnelt der auf die abgerissenen Armstümpfe, die ihre verlorenen Teile zu suchen scheinen, um sich wieder zu einem Ganzen zu fügen; auf die enthäutete Hand, die zwischen ihnen hängt wie ein Geschlecht, bedeutungsvoll dem Totenkopf benachbart. Fünfunddreißig Jahre alt war damals schon Mary Shelleys Roman »Frankenstein«,, dessen Held, ein Ingolstädter Student, Leichenteile zusammenfügt und ihnen mit faustischer Kraft Leben einhaucht. Daß die Malerei im künstlichen Licht, das dem Gips einen Schein gespenstischer Belebtheit leiht, etwas von dieser schauerlichen Macht ausüben kann, zeigt Menzels Komposition, die sich durch den Zusammenhang von Muskelhand und Palette als eine Allegorie der Kunst zu erkennen gibt. Doch die nur halb in das Bildfeld genommene Palette entgleitet dem Bezirk des Todes. Wie die zwanzig Jahre später gemalte, noch größere, reicher angeordnete Fassung (1872, Hamburger Kunsthalle), so darf schon die Berliner »Atelierwand« als die programmatische »Antwort eines Realisten auf die Frage nach der Vorbildlichkeit des akademisch beglaubigten Formenkanons« interpretiert werden, und zugleich als praktischer Triumph einer »Ästhetik des Bruchstücks« (Werner Hofmann, in: Menzel, der Beobachter, Ausst.-Kat., Hamburg 1982, S. 37), die dem Zusammenhanglosen und Fragmentarischen die Würde der Kunst zuspricht. | Claude Keisch
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