Als er dieses Bild stillen Friedens malte, stand der 45jährige Daubigny auf der Höhe seiner Laufbahn. Zwei Jahre zuvor hatte er in Auvers ein Haus mit Atelier gebaut, in dem er endlich an großen Formaten arbeiten konnte. Seit 1857 bereiste er die Flüsse der Île-de-France mit seinem Hausboot ›Le Botin‹ (Das Kistchen). Um den Preis bohèmehafter Unbequemlichkeiten und komischer Episoden – die er in Federzeichnungen und Radierungen überliefert hat – gewann er, sobald er, wie im Falle der Frühlingslandschaft, vom Wasser aus das Ufer malte, den ihm besonders willkommenen reinen Horizontalblick auf die Landschaft. Über die Jahrzehnte hinweg wird sein Werk von einem stets gleich proportionierten, deutlich überstreckten Breitformat – beinahe doppelt so breit wie hoch – beherrscht. Selbst wenn die ruhigen Wasserflächen der Oise oder der Seine nicht bis an den unteren Bildrand reichen, steht so gut wie nie ein großes Vordergrundmotiv dem Blick im Wege, der sich über die ganze Breite des Bildes hinweg, stets parallel zu dessen Fläche, gleichmäßig auf den Horizont zubewegt. In demselben Maße, in dem blickfangende Einzelmotive fehlen, werden Licht und Luft – so ungreifbar und unspektakulär wie allgegenwärtig – zum eigentlichen Thema: in der Frühlingslandschaft mit der matten Bläue des Himmels, über den kleine Wolken ziehen, mit den weißen und gelben Pünktchen der Blüten vorn. Die durchsichtige, beinahe körperlose Frühlingsvegetation – ein neues Thema der Malerei, das mit dem Fortschreiten des Jahrhunderts an Bedeutung zunimmt – kommt der Neigung Daubignys entgegen, die großen Formen verschwimmen zu lassen. Die vorsatzlos improvisierende Maltechnik, zu der er sich bekannte, setzt den wechselnden Stofflichkeiten folgend breite oder winzige Flecken, leichte Parallelstriche oder ruhige Farbflächen ein. Staffagefiguren sind bei Daubigny selten oder sehr klein. Das Liebespaar auf unserem Bild, präsenter zwar als seine Figuren sonst, aber vom Betrachter abgekehrt, bleibt ein lyrischer Beiklang. | Claude Keisch
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