Für die Ausstellung moderner Kunst im Kronprinzenpalais erwarb Ludwig Justi 1928 ein Bild der jung verstorbenen Paula Modersohn-Becker. Das jugendstilig anmutende Werk zeigt die jüngere Schwester Herma (1885–1963) mit einem Kranz im Haar. Der mit den Worpsweder Künstlern gut bekannte Bremer Museumsdirektor Gustav Pauli beschreibt ihn 1919 als »Marienblümchenkranz« (Paula Modersohn-Becker, Leipzig 1919, S. 59, Kat.-Nr. 90); heute ist die schlichte, kleine Wiesenblume vorwiegend als Gänseblümchen bekannt. In den Händen hält Herma eine urnenförmige Vase mit einem Marienblümchengesteck, gleich einem zusätzlichen Attribut.
Die bildfüllende Büste des Mädchens erinnert an die »Flora« von Arnold Böcklin (Museum der Bildenden Künste Leipzig). Im Vergleich zu der selbstbewußt posierenden Frau bei Böcklin wird der schlichte Ernst der meisten Figuren von Paula Modersohn-Becker umso deutlicher. In dem Mädchen Herma erkannte Paula schon die junge Frau: »Es träumt und schläft so Süßes in ihr. Und eine Lieblichkeit ist schon wach« (P. Modersohn-Becker, Briefe und Aufzeichnungen, Leipzig 1982, S. 145).
Das Vorbild Böcklin taucht in zahlreichen Brief- und Tagebuchstellen dieser Monate auf. Im Januar 1901, nachdem sie vom Tod Böcklins erfahren hatte, schrieb sie an Otto Modersohn aus Berlin, wo sie in der Nationalgalerie gerade Böcklins Bilder bewundert hatte: »Und der Geist, der Geist Böcklins, wo bleibt er wohl? Erscheint er uns wieder in Blumen und Bäumen? Vielleicht sehe ich ihn nächsten Frühling auf dem Weyerberge blühen. Wenn ich das bedenke, so vertausendfacht sich meine Liebe und Demut vor jedem Grashalm« (ebd., S. 169). Herma mit ihrem Marienblümchenkranz ist Paula Modersohn-Beckers Huldigung an Böcklin wie an die Natur. | Angelika Wesenberg
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