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GLEIMHAUS Museum der deutschen Aufklärung Handschriftensammlung [Hs. A 1914 (Kleist 156)]
09 Brief Ewald Christians von Kleist an Gleim, 3.10.1756 (Gleimhaus Halberstadt CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Gleimhaus Halberstadt (CC BY-NC-SA)
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Brief von Ewald Christian von Kleist an Gleim, 3.10.1756

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Beschreibung

Der Schlacht bei Lobositz oder Lowositz, einem böhmischen Städtchen, am 1. Oktober 1756 war die erste im Siebenjährigen Krieg. Hier trafen die Hauptkontrahenten Preußen und Österreich aufeinander. Wer den Sieg davongetragen hatte, das war später nicht ganz eindeutig. Die Verluste jedenfalls waren für die Verhältnisse zu Kriegsbeginn erschreckend hoch, auf beiden Seiten. Gleim wurde durch einen Brief Kleists wenige Tage nach der Schlacht erstmals über die Geschehnisse in Kenntnis gesetzt. Kleist übersandte einen recht ausführlichen Bericht der Kampfhandlungen. Er selbst hatte nicht teilgenommen, war aber durch den Fürsten Moritz von Dessau, bei dem er gespeist hatte, informiert. Von preußischen Verlusten wusste Kleist kaum etwas.
Möglich, dass Gleims Erfindung der literarischen Rolle des Grenadiers als Verfasser seiner Kriegsdichtung auf die Tatsache zurückgeht, dass sich in der Schlacht bei Lowositz zwei Grenadierbataillons rühmlich hervorgetan hatten.

Mein allerliebster Gleim,
Das Gerücht von dem Siege, den wir im Sept. über die Oesterreicher sollen erfochten haben, ist, wie Sie ganz recht muthmaßen, falsch. Ich kann Ihnen aber jetzo von einem höchst glorreichen Siege wahrhafte Nachricht ertheilen, den wir vorgestern über diese unsere Feinde bei Lowositz erhalten haben, und der unser Land und Alliierten mit Freude erfüllen wird. Nachdem der König erfahren, daß sich die Oesterreicher unter dem Commando des Generals Brown näherten, um uns den 4ten hujus am Francisci-Tage hier bei Pirna zu attaquiren, ging er von hier verwichenen Montag zum Corps des Generals Reith (unter dem der Prinz von Bevern und von Braunschweig bisher commandirt haben) ab und überließ das Commando unsers Corps dem Markgrafen Karl. Wir muthmaßten gleich, daß es zu einem Treffen kommen würde, und die gestrige Nacht erhielten wir ausführliche Nachricht von unserm erfochtenen Siege. Der Feinde rechter Flügel hat an Lowositz gestanden, und rechter Hand Lowositz hat ein Corps Panduren einen hohen Weinberg, der rund um natürliche Terrassen hat wie der Weinberg in Sans-Souci, besetzt gehabt, so daß es oben alle Terrassen erfüllt. Vor der Mitte ihrer Armée, weit voraus, sind einige Redouten, mit Kanonen stark besetzt, aufgeworfen gewesen und von den Redouten hat viele Cavallerie gehalten, die die Redouten verdeckt hat. Der linke Flügel hat ein Retranchement und auch eine Redoute vor sich gehabt. Wie sich der König ihnen nähert, der 24 Stunden lang, ohne zu ruhen, durch lauter Defilés auf sie los marschirt ist, avanciren sie frisch auf uns, welches sie sonst niemals gethan, in der Meinung, daß unser Haupt-Corps bei Pirna stünde, und daß dieses nur eine Avantgarde wäre. Der König, der fast ihre ganze Cavallerie vor der Mitte und weit vorausgerückt sieht, weiß kein ander Mittel, an die Infanterie zu kommen, als daß er die Cavallerie durch die seinige attaquiren läßt. Bei der Annäherung unserer Cavallerie, die mit der größten Furie auf die österreichische fällt, öffnet sich letztere, um uns in das Kartätschen-Feuer der Redouten jagen zu lassen. Unsere Cavallerie hat hierauf retiriren müssen und ist von der österreichischen verfolgt worden. Wie sie vor unsere Infanterie kommt, setzt sie sich wieder und attaquirt die Oesterreicher zum zweiten Mal, bringt durch sie und will weiter vorwärts; allein das Kartätschen-Feuer ist aufs Neue so heftig, daß sie weichen muß; sie wird also noch einmal von der kaiserlichen verfolgt. Zum dritten Mal attaquirt sie wieder, wirft die feindliche Cavallerie über den Haufen und will sich der Redouten und Kanonen bemächtigen oder sie wenigstens von der kaiserlichen Infanterie abschneiden; allein sie bekommt jenseit der Redouten ein so heftiges Feuer von der Infanterie, die sich nähert, daß sie abermals weichen muß und vor unserer Infanterie halten bleibt. Der König läßt hierauf unsern linken Flügel, so aus dem Grenadier-Bataillon von Kleist und von Billerbeck bestanden, avanciren, der mit Löwen-Bravoure den jähen Weinberg attaquirt und die Panduren herunterjagt, die sich in Lowositz werfen. Wir pflanzen auf dem Berge gleich eine Menge Kanonen, die die Gassen von Lowositz enfiliren, und schießen eine große Anzahl Panduren darnieder, so daß die Gassen dick voll gelegen haben. Das Itzenplitzische Regiment und die folgenden Regimenter, die unsern linken Flügel ausmachen, avanciren auch; der feindliche rechte Flügel weicht und retirirt in die Stadt und feurt sammt den Panduren zu den Fenstern hinaus. Unsere Grenadier-Bataillons aber legen Feuer an die Häuser und stecken sie in Brand. Der ganze rechte Flügel der Feinde weicht hierauf; der linke folgt ihm, und die ganze Armée zieht sich hinter Lowositz in ein Defilé, wo sie sich in viele Linien formiren, und die Nacht entweicht Alles nach Laun, 4 Meilen von Lowositz. Der König hat sie der Gebirge wegen nicht verfolgen können; der Feind aber hat doch erschrecklich gelitten und 8000 Mann auf dem Walplatz gelassen. Unser rechter Flügel und der Oesterreicher linker ist gar nicht zur Action gekommen, und wir können sagen, daß uns 2 Bataillons Grenadiers und etwan 4 Regimenter den ganzen Sieg erfochten haben. Diebeiden Grenadier-Bataillons haben etwan 100 Mann verloren, und die Regimenter á proportion viel weniger, die Cavallerie aber hat sehr gelitten. Der General Oertz von den Gensd’armes und der General Lüderitz sind todt. Der Obristlt. von Blumenthal von der Garde du Corps aber, der sich wie ein wahrer Held gewiesen, ist tödtlich blessirt, wie auch der Lieut. v. Brandt von den Gensd’armes, dem beide Beine weggeschossen sind. Von der Infanterie ist der General Quandt todt, der General Kleist aus Stendal in den Arm blessirt. Die 4 Grenadier-Capitaines von des Major Kleist Bataillon sind alle 4 verwundet, wie auch viele Officiers von dem Itzenplitzischen Regiment. Der Feldmarschall von Keith, der Prinz von Bevern und von Braunschweig haben sich so distinquirt, daß Jeder von ihnen ein Heldengedicht verdiente. Das beste aber, und das Sie, mein Liebster, machen müssen, verdient unser großer Friedrich, der immer im heftigsten Feuer gewesen ist. Es ist nunmehr glaublich, daß die Oesterreicher uns gar nicht mehr stehen werden, nachdem wir sie aus einem so ungemein vortheilhaften Posten geschlagen haben, wo sie mit 60 Bataillons und 72 Escadrons gegen unsere 20 Bataillons und 50 Escadrons gestanden. Die Sachsen, die uns eine verdammte Episode gemacht haben und die wir hier noch immer einschließen, werden sich nun hoffentlich auch bald ergeben, da sie sehen, daß sie keinen Succurs zu hoffen haben. Sie verschanzen sich zwar noch immer mehr; sie werden sich aber vor dem Hunger nicht verschanzen können. Er wird ihre Brustwehren bald ersteigen. Der Feldmarschall Schwerin, der nunmehr bei Königgrätz stehet, kann den Piccolomini nicht angreifen, weil dieser die Elbe und noch einen kleinen Strom, der dort in die Elbe geht, vor sich hat und in dem Winkel, den die beiden Ströme machen, postirt stehet; sonst würde er ihn auch längst geschlagen haben. Er hat aber 400 Mann Dragoner und 500 Husaren mit einem Regiment Husaren in Person angegriffen, 124 davon zu Gefangenen gemacht und den Rest getödtet und zerstreut. 74 Mann haben wir auch in Tetschen, einem Platz an der Elbe, gefangen genommen. Den 1. October, am Tage der Bataille, war ich von hier einige Meilen ins Gebirge commandirt und habe die Bataille in der Nähe gehört, aber nicht gesehen, und habe, ohne ein Alexander zu sein, mich chagrinirt (mehr mag ich nicht sagen), daß ich nicht dabei war. Mich tröstet, daß wir noch zeitig genug dazu kommen werden; sonst würde ich auf mein Schicksal und auf Alles fluchen. Leben Sie wohl, mein Allerliebster! Empfehlen Sie mich unseren Freunden und schicken Sie ihnen doch diese Relation von der Bataille! Den Musicum Herrn Koch in Potsdam, den ich ungemein lieb habe, und der meine Sachen in Potsdam in Verwahrung hat, bitte ich nicht zu vergessen. Schreiben Sie ihm doch, oder schicken Sie ihm diesen Brief; denn ich habe nicht Zeit, zu schreiben. Ich habe in einer ganzen Woche nur 2 Stunden im Bette und etwan 24 auf der Erde geschlafen. Er soll den Brief an meine übrigen Potsdamischen Freunde geben, die ich neulich benannt habe. Ich küsse [Sie] tausendmal und bin lebenslang
Ihr
Getreuster
Kleist

N. S. Geld brauche ich nicht. Schreiben Sie doch hurtig die Geschichte des jetzigen Krieges! Sie sollen alles Merkwürdige erfahren und nicht die geringste Unwahrheit. Ich habe heute bei dem Fürsten Moritz von Dessau gespeiset und habe Alles, was ich Ihnen geschrieben, aus seinem eignen Munde und aus dem Munde eines Königl. Jägers, der währender Tafel ein Schreiben an den Fürsten brachte. Gestern haben wir hier Victoria geschossen und das Te Deum gesungen.
Wollen Sie Verse von mir lesen? Hier haben Sie welche! Aber sie schmecken nach der Campagne, und ich habe nicht Zeit, was auszuarbeiten; ich habe sie in einer Viertheil Stunde gemacht. Ich glaube es ist ein Odchen, ich weiß es selbst nicht.

An Thyrsis
Mein Thyrsis, laß Dich nicht des Kummers Macht
besiegen ec.

Machen Sie doch meine große Empfehlung zu Ihre Madem. Niéce! Sie muß ihren Oncle ungemein lieben, weil sie sich überwinden kann, seines Freundes Porträt , das häßlich genug, aber noch lange nicht so häßlich als das Original aussieht, zuweilen zu betrachten. Sehn Sie mich nur recht an, Madem., ich sehe sehr finster und häßlich aus; ich sehe aber doch vielleicht ehrlich aus, und hierauf und auf Ihres Oncles Freundschaft bin ich sehr stolz. Wir haben den Fürst Lobkowitz, einen Neveu von dem alten Lobkowitz, den wir bei Soor schlugen, gefangen bekommen.
N. B. Die Ursache, warum sich die Sachsen noch nicht ergeben, ist, weil der König verlangt, daß sie alle Kriegsgefangenene sein sollten bis auf ein paar Bataillons Leibgarde des Königes von Polen; dieser aber will 8000 Mann für sich behalten. Gleich zu Anfange, wie wir anhero kamen, schickte unser König den General Winterfeldt nebst noch verschiedenen Stabs-Officiers an den König von Polen ab und ließ ihm die Propositionen machen, welche aber nicht angenommen wurden. Der König von Polen hat vielmehr nachher seine Generals und Officiers haranguirt und gesagt, daß er ganz offenherzig gestünde, er wäre kein Soldat; indessen, ehe er niederträchtige Bedingungen einginge, wollte er sein Leben mit seinem Heere wagen ec. Die beiden älteren Prinzen nach dem Kur-Prinzen sind bei ihm im Retranchement. Für das Königl. Haus lassen wir Vivres hinein auf Befehl unsres Königes.

Textgestalt nach Kleist, Ewald Christian von: Ewald von Kleist‘s Werke. Hg. v. August Sauer, Berlin [1883], Bd. 2, S. 340 ff.

Material/Technik

Handschrift auf Papier

Literatur

  • Lacher, Reimar F. (2017): "Friedrich, unser Held" - Gleim und sein König. Göttingen, S. 47-50
  • Sauer, August (1883): Ewald von Kleist‘s Werke. Berlin
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GLEIMHAUS  Museum der deutschen Aufklärung

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Das Gleimhaus ist eines der ältesten deutschen Literaturmuseen, eingerichtet im Jahr 1862 im ehemaligen Wohnhaus des Dichters und Sammlers Johann...

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