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GLEIMHAUS Museum der deutschen Aufklärung Handschriftensammlung [Hs. A 1913 (Kleist 155)]
04 Brief Ewald Christians von Kleist an Gleim 17.9.1756 (Gleimhaus Halberstadt CC BY-NC-SA)
Herkunft/Rechte: Gleimhaus Halberstadt (CC BY-NC-SA)
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Brief von Ewald Christian von Kleist an Gleim 17.9.1756

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Beschreibung

Der erste Brief nach dem Auszug des Intimus Kleist in den Siebenjährigen Krieg, in dem er drei Jahre später auch fiel (1759). Kleist versprach Gleim vom Kriegsgeschehen zu berichten und begann dies mit der Lagebeschreibung bei der Belagerung von Prag. Der Brief sollte ein Zirkular unter den Literatenfreunden sein. Kleist schrieb nicht nur von Kampfhandlungen, sondern sprach Kampfesgeist aus und vermittelte außerdem die Faszination, die der König ausübte, und dies aus einiger Nähe.
Mit dem Erlebnis der Heroik des Krieges und des Königs entstand für Kleist die Notwendigkeit, dieses in einem gebührenden Stil zu bedichten. Das heroische Erlebnis sollte in heroische Dichtung umgesetzt werden. Der an Ramler gerichte Nachsatz des Briefes lautet: "Mein liebster Ramler, Sie müssen nun bald eine Ode auf den König machen. Ich thäte es gerne; aber ich bin schon zu alt und kein Poet." Man rief sich gegenseitig in die Pflicht, diese literarische Aufgabe zu übernehmen. An Gleim, den ‚deutschen Anakreon‘, der das tändelnde Genre vertrat, hatte man zunächst nicht gedacht. Und doch war es eben Gleim, der unter seinen Freunden mit patriotischer Dichtung hervortrat. Zunächst stand ihm - er hatte die ersten ausführlichen Kriegsberichte Kleists erhalten - die historiografische Behandlung der Ereignisse vor Augen.

Mein liebster, bester Freund,
Der Aufbruch unsers Regiments aus Potsdam war so schleunig, und ich hatte, zuletzt so viel zu thun, daß ich mich weder von Ihnen noch von einem meiner Freunde beurlauben konnte. Ich hatte mir auch vorgesetzt, Ihnen aus der Campagne nicht ehe zu schreiben, bis was Wichtiges vorgefallen; allein ich denke so oft an Sie, daß ich es Ihnen endlich sagen muß, daß ich an Sie gedenke, und denn ist zwar bisher noch nicht viel Blut vergossen worden; es ist aber doch schon so viel Merkwürdiges vorgegangen, davon Sie nicht die Hälfte aus den Zeitungen werden erfahren haben, daß Sie diesen Brief vielleicht lieber lesen werden als hundert leerere, die Sie von mir erhalten haben. Wir haben Leipzig, Wittenberg, Torgau, Dresden und ganz Sachsen weg und mit unsern Truppen besetzt. Leipzig hat, wie man sagt, ziemlich contribuirt. Die Sachsen flohen, wo wir hinkamen, und zogen sich hierher, bei Pirna, zusammen, wo sie sich bis an die Zähne verschanzt haben. Sie sind sehr vortheilhaft postirt. Ihr Lager gehet von Pirna an und erstreckt sich bis zum Königstein. Sie haben den Rücken an der Elbe und vor sich gegen Gießhübel zu ein so starkes Retranchement auf einer Anhöhe, das mit Verhacken, Wolfsgruben, Fußangeln ec dergestalt garnirt ist, daß es uns ziemlich kosten sollte, wenn wir es ersteigen wollten. Der König von Polen nebst seinen zwei jüngsten Prinzen und Brühlen ist mit im Lager und mit ihnen der feste Vorsatz, sich bis auf den letzten Blutstropfen zu wehren. Unser großer Friedrich hält es aber bisher nicht vor nöthig, auch nur einen Mann ohne Noth zu wagen, da er seine Truppen nöthiger gebrauchen wird, und hält sie ringsum eingeschlossen, so daß sie nicht die geringste Zufuhr erhalten können und sich also innerhalb etlichen Tagen unfehlbar als Kriegsgefangene werden ergeben müssen. Des Königs Corps stehet an der böhmischen Seite, und an der andern Seite der Elbe das Corps des Prinzen von Bevern, welcher verhindert, daß sie sich nicht zurück über die Elbe ziehen, noch auch Proviant und Fourage von da erhalten können. Damit auch die Oesterreicher ihnen nicht zu Hilfe kommen, ist der Prinz von Braunschweig mit einem Corps voraus nach Böhmen detachirt und wird vermutlich den Kaiserlichen bald eine Bataille liefern. Er ist schon im Gebirge von Panduren attaquirt worden, und seine Avantgarde, die aus dem Kleistischen Grenadier-Bataillon bestanden, hat einige Todte und Blessirte gehabt, unter den letztern ist der Cap. v. Haacke vom Retzow’schen Bataillon. Ich schreibe Ihnen dieses so umständlich, ob Sie gleich den Cap. v. Haacke nicht kennen. Sie sollen diesen Brief nicht allein behalten, sondern ihn als ein Circulare an alle meine Lieben, an Ramlern, Sulzern, Krausen ec., und Letzterer nach Potsdam an den Musicum Herrn Koch (der mir durch 100 Proben erwiesen hat, daß er mein wahrer Freund ist, der ein so großer Menschenfreund als Musicus ist, und den ich Ihnen einmal Statt meiner empfehle, wenn ich nicht mehr sein werde), und Dieser an den Hofprediger Herrn Kochius und Herrn Benda schicken. Den Herrn Potsdamern wird daran gelegen sein, von der dasigen Garnison Nachricht zu haben. Ich sollte allen diesen meinen Freunden jedem insbesondere schreiben; allein ich habe dazu nicht Zeit, und ich werde auch nicht ehe wieder ein Circulare ergehn lassen, bis eine Action vorgefallen ist. Vermuthlich werden wir die Oesterreicher noch dieses Jahr aus Böhmen und Mähren schlagen und in diesen beiden Provinzen die Winterquartiere nehmen. Schwerin verfolgt den Piccolomini in Mähren, der sich immer zurückziehet, und mit dem Corps in Böhmen werden wir wol fertig werden, und hoffentlich werde ich Prag zum zweiten Mal belagern helfen. Wie ruhig kann nun unser Land sein! Es ist von allen Seiten hinlänglich gedeckt, welches nicht gewesen wäre, wenn wir Sachsen nicht weggenommen hätten. Kleve und Westfalen ist zwar bloß, allein es scheint, daß wir von Frankreich nicht viel befürchten, und überdem muß der König von Engelland auch für eine Reichs-Armée sorgen. Die Sachsen, die wenig Lebensunterhalt mehr haben und schon Pferde schlachten wollen, capituliren schon seit einigen Tagen mit uns und wollen sich zu Kriegsgefangenen ergeben. Der König von Polen will aber 2 Regimenter für sich behalten, die ihm unser gnädigster König nicht accordiren, sondern ihm nur seine Garde allein lassen will, die mit der unsrigen in Dresden vermischt Dienste thun soll. Sie werden endlich wol Alles eingehen müssen. Es sollen schon 14000 preußische Montirungen fertig sein und zu Wasser hergebracht werden, die die Sachsen anziehen sollen. Die sächsischen Officiers, so nicht bleiben wollen, sollen ihren Abschied haben, und an ihre Stelle wird der König andere von der Armée setzen. Der Himmel bewahre mich, daß ich nicht etwan bei ein solches neues Regiment komme. Ich bleibe gar zu gerne bei der Armée, und unser Regiment wird nun schon mehr zu thun bekommen als im vorigen Kriege; denn es stehet nach der Ordre de bataille im ersten Treffen. Das unruhige Leben gefällt mir ganz ungemein; ich bin gesunder und vergnügter, als ich sonst gewesen bin, ob ich gleich zuweilen mit den armen weinenden Leuten, denen ich ihr Korn aus den Scheuren nehmen muß, weil meine Pferde das Hungern sich nicht angewöhnen wollen, mitweine und vielleicht ihr Unglück so viel fühle als sie. Der König hat in Dresden das Archiv zu sich genommen. Ein gewisser Major v. Wangeheim vom Kahlen’schen Bataillon ist beordert gewesen, es zu versiegeln und es vom Dresdener Schlosse abzuholen. Die Königin von Polen aber hat sich in die Thüre des Gemachs gestellt und nicht zugeben wollen, daß man es anrühre. Der Major von Wangenheim beruft sich auf seine Ordre des Königs;die Königin aber sagt, wer ihre Schriften wegnehmen wolle, der müsse sie selbst mitnehmen. Nachdem sie aber ein paar Stunden gestanden und der Major vor ihr und sie endlich gesehen, daß sie zu lange würde stehen müssen, ehe sie den Major beredete, den Befehl seines Herrn nicht auzurichten, hat sie zugeben müssen, daß Alles ist weggenommen worden. Der König soll wichtige Sachen darin gefunden haben und nun von dem ganzen Project wider ihn, das im zukünftigen Jahr hat sollen ausgeführt werden, völlig unterrichtet sein. Er wird sie bezahlen, die Verräther! Der Dresdener Hof ist sehr niedergeschlagen, wie leicht zu erachten, und ich habe die Königin, die immer barfuß in die Kirche gehet, seit ihr Gemahl im Retranchement ist, selbst weinen gesehen, welches mich aber lachen gemacht hat, ohngeachtet ich nicht lachen kann, wenn ihre armen Bauren weinen. Wir haben drei Tage bei Dresden campirt, und 1 Bataillon vom Wiedersheimischen und Neu-Wiedischen Regiment ist daselbst zur Besatzung geblieben. Dresden hat mir ganz ausnehmend gefallen, besonders der Zwinger, die Galerie, der große Garten und die neue katholische Kirche darin. In Europa muß wenig Schöneres sein. Herr Rost, den ich daselbst habe kennen gelernet, empfiehlt sich Ihnen ergebenst. Er ist ein munterer artiger Mann. Brühl soll in Ungnade sein, ohngeachtet ihn ganz Dresden entschuldiget und Alles, was zum Verfall des Landes vorgegangen, der Königin zuschreibt, die allein regiert, und der Brühl hat nachgeben müssen, um sich zu souteniren. Man liebt uns in Sachsen ganz ungemein wegen der guten Ordre, die wir halten, und man sieht uns an als Religions-Beschützer.
Nun wissen Sie ohngefähr alles Neue, das ich weiß. Ist Ihnen gleich vielleicht nicht Alles neu, so ist doch Alles wahr, und ich werde Ihnen öfter getreuen Bericht von den Unternehmungen unseres tapferen und weisen Friedrich’s abstatten, den man immer mehr bewundern muß, je mehr man sieht, wie er sich bei allen Vorfällen beträgt. Er ist so gelassen und vergnügt, als wenn er in der größten Ruhe wäre. Bei seinen großen und unendlich vielen Geschäften ist er niemals mürrisch; er spricht mit Jedem und fertigt Jeden leutselig ab und gehet mit seinen Soldaten um wie mit Kindern. Sie werden ihre Köpfe en revanche auch gerne für ihn hingeben; ich wenigstens gebe meinen nachgerade ziemlich alten gerne hin und werde mich freuen, wenn ich Gelegenheit habe, nur was zu helfen. Ich bin in diesem Schachspiele nur ein Fußgänger; ich werde aber doch um mich schlagen, so gut ich kann. Aber nach Potsdam muß er mich nicht mehr in Garnison stecken; da ist es mir zu todt; sonst nehme ich lieber den Abschied. Wir haben beim Regiment noch nicht mehr als zwei Deserteurs, und ich bin so glücklich, bei meiner Compagnie noch keinen zu haben, wie auch noch keinen einzigen Kranken. Die österreichische Armée in Böhmen soll aber ungemein kranken; man sagt, daß eine anstehende Seuche darin grassiren soll. Nobis militat coelum. Dieser Brief, der ziemlich unordentlich und witzlos ist, sollte zwar billig Niemand als Sie lesen, mein Allerliebster, der Sie meine Nachlässigkeit und Schwachheiten mir am Liebsten verzeihen; Sie können ihn aber doch, wenn Sie es gut befinden, an oben gemeldete Freunde schicken. Sie wissen ohnedem Alle, daß ich nicht viel Witz habe, und sie würden doch nicht glauben, daß ich ihn hätte, wenn ich gleich jetzo witzig schriebe. Daß ich ein gutes Herz habe, daß weiß ich und sie, und ich habe es so gut, daß ich für sie Alle mein Leben lassen wollte, wie ich es für meinen Herrn lassen will, wenn ich das ihrige dadurch erhalten oder sie glücklich machen könnte. Für Niemand aber ließ‘ ich es lieber als für meinen lieben Gleim.

Ich küsse Sie tausendmal und bin lebenslang
Ihr
getreuster
Kleist.

Mein liebster Ramler, Sie müssen nun bald eine Ode auf den König machen. Ich thäte es gerne; aber ich bin schon zu alt und kein Poet. Küssen Sie doch Herrn Langemack in meinem Namen, und wen Sie sonst noch wollen, Herrn Bergius, Burchard, Gause ec.! Und Du, mein ehrlicher Koch, Du mußt alle meine Sachen in Potsdam verkaufen, damit Die Hofpredigerin Eisfeldtin und der Jude Moses Bacher bezahlt werden. Von hier aus kann ich nichts bezahlen, wie ich geglaubt habe. Ich habe wenig Einkünfte; Alles ist erschrecklich theuer, und stehlen kann ich nicht lernen. Lebe glücklich, mein liebster Freund, lebe so glücklich, als Du es verdienst! Mache mein Compl. an Herrn Tagliazucchi und seine Gemahlin und an Herrn Wahl, an welchen Letztern dieser Brief mit geschrieben ist! Lache mich nicht aus, daß ich an zwanzig Freunde einen dummen Brief schreibe!

Textgestalt nach Kleist, Ewald Christian von: Ewald von Kleist‘s Werke. Hg. v. August Sauer,
Berlin [1883], Bd. 2, S. 334 ff.

Material/Technik

Handschrift auf Papier

Literatur

  • Lacher, Reimar F. (2017): "Friedrich, unser Held" - Gleim und sein König. Göttingen, S. 21-28
  • Sauer, August (1883): Ewald von Kleist‘s Werke. Berlin
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Das Gleimhaus ist eines der ältesten deutschen Literaturmuseen, eingerichtet im Jahr 1862 im ehemaligen Wohnhaus des Dichters und Sammlers Johann...

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